Sehnsucht
Begabungen, sondern in erster Linie die Finanzen und Ambitionen der Eltern. Die Logik erscheint einfach: Der Elitekindergarten ist die Voraussetzung für die Eliteschule und diese wiederum muss erfolgreich absolviert sein, um anschlieÃend eine Eliteuniversität besuchen zu können. Wer nicht früh genug anfängt, den bestraft das Leben. Und solche privaten Förderungen erwünschter Wunderkinder kosten nicht selten ein paar Tausend Euro im Monat, aber was tut man nicht alles für sein Kind.
Das Bildungsziel in Japan beispielsweise besteht darin, auf eine der fünf Eliteuniversitäten gehen zu können, die Big Five , die allesamt in Tokio sind. Fast 80 % aller japanischen Topmanager und Politiker haben an einer dieser Big Five ihren Universitätsabschluss gemacht. Aber der Weg dorthin wird nicht nur teuer mit viel Geld, Zeit und Energie und dem weitgehenden Verlust einer unbeschwerten Kindheit bezahlt, er führt auch über private Nachhilfeschulen, die Juku genannt werden. Hier werden Fakten auswendig gelernt, Zahlen, Daten und Vokabeln gepaukt. Es ist bestenfalls eine einseitige Förderung der sachlichen Bildung, die eine emotionale Bildung weitgehend vernachlässigt. Die Kinder besuchen Sprachleistungskurse, sind danach aber nicht in der Lage, in der jeweiligen Sprache einen Film zu verstehen oder eine einfache Konversation zu führen. So verlassen die Studierten die Eliteuniversitäten mit viel angehäuftem und gespeichertem Fachwissen, haben aber weder von der Welt noch von sich selbst wirklich etwas verstanden. Früher nannte man sie Fachidioten, heute sprechen die Studierenden selbst vom sogenannten Bulimie-Lernen, womit sie das Fressen und Auskotzen von Lehrstoff meinen. Häufig sind es junge Menschen, die zwar Disziplin und Leistung gelernt haben, aber nach dem Abschluss in ein Leistungsloch und eine Perspektivlosigkeit fallen und nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen. Sie haben anscheinend das elterliche Programm erfüllt und könnten nun mit ihrem eigenen Leben beginnen, aber sie wissen oft nicht, wie das geht. Sie wurden zu Opfern und Erfüllungsgehilfen der Sehnsüchte ihrer Eltern, haben deren Stolz stets als Liebe interpretiert und darin einen Ansporn für ihre permanenten Höchstleistungen gesehen.
Im positiven Fall entstehen daraus starke Erfahrungen der Selbstwirksamkeit. Diese Kinder erleben sich als leistungsstark und kraftvoll, sie strotzen vor Selbstvertrauen, aber sie bleiben an die Leistungsspirale gekettet. Wenn es gut läuft, dann entdecken sie eigene Fähigkeiten jenseits ihrer Begabungen. Das Wunderkind Hilary Hahn hat dies selbstbewusst einmal so formuliert: Ich war gerade mal 16, als ich meine erste Platte mit Bach-Sonaten einspielte. Wenige trauten mir damals zu, diese Sonaten mit Gefühl und Verstand zu füllen. Aber nichts hatte ich häufiger gespielt als Bach, warum also hätte ich davor zurückschrecken sollen? Manche haben mich damals als Wunderkind bezeichnet, aber niemand ist ein Wunderkind. Dahinter steckt immer harte Arbeit. 51
Früh bekannt wurden vor allem die Wunderkinder im Damentennis, die alle von ihren Vätern betreut, trainiert und gemanagt wurden. Die ersten Beispiele waren die Väter von Steffi Graf, Gabriela Sabatini oder Jennifer Capriati. Steffi Grafs Vater war zuvor Autohändler gewesen, Sabatinis Vater war ebenfalls in der Autobranche tätig gewesen und Capriatis Vater arbeitete zuvor als Stuntman und Grundstücksmakler. Danach kam der Vater der Williams Schwestern Venus und Serena, der vor allem dadurch auffiel, dass er während der Turniere von der Tribüne aus Fotos seiner Töchter machte und mit ihrer Mutter nichts zu tun haben wollte. Stefano Capriati lieà seine Tochter bereits mit vier Jahren an einer Ballmaschine trainieren und Bauchübungen machen. Martina Navratilowa, neben Steffi Graf wahrscheinlich die beste Tennisspielerin bislang, sprach davon, dass diese jungen Mädchen mit 20 Jahren an Leib und Seele geschädigt seien.
Väter sollten ihren Kindern den Ausweg aus der engen Mutterbindung zeigen, allerdings ohne sie umso stärker emotional an sich selbst zu binden. Aber bei den Vätern und ihren wundersamen Töchtern wird anscheinend nur eine emotionale Bindung durch eine andere ausgetauscht. Eine besonders unsichtbare und zugleich besonders wirksame emotionale Bindung nennt man auch eine Delegation. Dann erscheinen diese Kinder
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