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Sehnsucht

Sehnsucht

Titel: Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang R. Hantel-Quitmann
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Wut und Aggressionen werden gegen sich selbst gelenkt. Meist sind es dann nur geringfügige Anlässe, die das Fass zum Überlaufen bringen, eine suizidale Krise auslösen und in einer Entladung der Aggressionen gegen sich selber enden. Bei all diesen einsamen und schuldbeladenen Gedanken entsteht eine innere Welt, die mit der äußeren immer weniger zu tun hat. Im psychiatrischen Sinne bauen sie sich zunehmend eine Scheinwelt auf und leiden unter einem Verlust an Realitätskontrolle. In ihren Phantasien sind sie dann tot, liegen auf der Bahre, beobachten ihr eigenes Begräbnis, sehen die vielen trauernden Menschen, lesen die Zeitungen mit der eigenen Todesanzeige, hören den Angehörigen zu, die sich starke Selbstvorwürfe machen und den Toten als einen wertvollen Menschen loben, den sie zu wenig beachtet und wertgeschätzt haben, und den sie schließlich in ihrer tiefen Trauer um Verzeihung bitten. Diese Wunschphantasien haben den Charakter einer umfassenden Wiedergutmachung für all das erlittene Leid, zeigen aber auch die versteckten Aggressionen und das Selbstmitleid, das Balsam für die wunde Seele darstellt.
    Suizidalität ist letzter und tiefster Ausdruck einer schweren Depression, bei der Selbstvorwürfe, Selbstentwertungen und Selbstschuldzuschreibungen eine wichtige Rolle spielen. Und bei der die aufgestauten Aggressionen letztlich gegen sich selbst gewendet werden. Es sind seelische Krisen, aus denen dem Menschen herausgeholfen werden kann. Schon nach wenigen Tagen führt bei den meisten suizidalen Menschen eine psychiatrische Behandlung zum Erfolg, nach zehn Tagen in einer Fachklinik tritt eine deutliche Besserung bei über 90 % der Betroffenen ein. Von den ca. 1000 Menschen, die sich jeden Monat in Deutschland das Leben nehmen, sind annähernd die Hälfte über 60 Jahre alt. Die Dunkelziffer wird auf mindestens das Dreifache geschätzt. Durch Suizid sterben also mehr Menschen als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und Aids zusammen.90 % der Suizidversuche sind nach wissenschaftlicher Meinung Ausdruck einer psychiatrischen Störung, bei mehr als der Hälfte einer Depression. Der Suizid trägt die Handschrift des Alters, bemerkt der Hamburger Psychiater und ehemalige Leiter des Therapiezentrums für Suizidgefährdete Paul Götze. Nahezu jeder Suizidversuch bei einem 85-jährigen Mann endet mit dem Tod, junge Erwachsene brauchen dagegen 30–50 Suizidversuche. Männer sind dabei erfolgreicher und brutaler, sie erhängen sich, während Frauen sich vor den Zug werfen oder aus dem Fenster springen. Manchmal nehmen sie auch Medikamente. Als Marilyn Monroe am 5. August 1962 an einer Überdosis Schlafmittel starb, war der Suizid die erste und wahrscheinlichste Erklärung, denn sie hatte jahrelang all ihren Freunden von ihrer tiefen Todessehnsucht erzählt. In ihren Aufzeichnungen, die erst viele Jahre nach ihrem Tod zufällig gefunden und im Jahre 2010 unter dem Titel Tapfer lieben veröffentlicht wurden, schreibt sie:
    Ich glaube, ich bin tief einsam . Ich sehe mich jetzt im Spiegel, die Stirn gerunzelt – wenn ich mich vorbeuge, werde ich sehen, – was ich nicht wissen will – Anspannung, Traurigkeit, Enttäuschung, meine Augen stumpf, die Wangen rot vor Äderchen, die aussehen wie Flüsse auf Landkarten – Haar wie Schlangen. Der Mund macht mich noch trauriger, zu meinen toten Augen. 78
    Sie war stets das ungeliebte Kind geblieben, als ungewolltes Kind geboren, bei einer alleinerziehenden Mutter mit Alkoholproblemen aufgewachsen, dann in eine Pflegefamilie abgeschoben und anschließend auch noch in ein Waisenhaus verbannt. Zeitlebens war sie auf der Suche nach dem rettenden Vater. Später nannte sie ihren Mann Arthur Miller liebevoll Daddy. Aber mehr noch suchte sie Liebe und Zuwendung. Sie wurde immer wieder geliebt, aber sie konnte diese Liebe nicht annehmen. Sie hatte wahrscheinlich nicht genügend Selbstliebe, keinen ausreichend gesunden Narzissmus, um sich selbst und damit auch andere lieben zu können.
    Eine narzisstische Krise
    Ein Suizid kann auch Folge einer sogenannten narzisstischen Krise sein. 79 Dabei wird das Hauptaugenmerk nicht auf die Depression und die gegen sich selbst gerichtete Aggression gerichtet, wie Freud dies tat, sondern auf die Krise infolge einer schweren narzisstischen Kränkung. Der narzisstisch gestörte Mensch – zu

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