Sehnsucht

geliebten toten Person wiederherzustellen. Dann verbindet sich mit dem Tod nicht nur ein Ende des Leidens, sondern zugleich eine Vereinigung mit einer großen Liebe, ob im irdischen oder auch religiösen Sinne.

7.  
An die Freude – Die symbolischen Wunscherfüllungen
    Die Wirklichkeit hat es noch nie gekonnt,
    weil sie nichts hält,
    Und strahlend überschleiert mir dein Blond,
    die ganze Welt
    Kurt Tucholsky
Sehnsucht nach der Sehnsucht
    Es scheint, als habe jeder Mensch seine ganz besonderen Sehnsüchte, die Ausdruck seiner Einzigartigkeit sind. Frauen und Männer haben ihre eigenen Sehnsüchte, ebenso Liebespaare, Hochzeitspaare, Ehepaare, Eltern, Familien, Jugendliche und Kinder. Manchmal haben sogar ganze Dorfgemeinschaften, Landstriche oder Volksgruppen eine Sehnsucht, die kaum ein Außenstehender versteht. So treffen sich jedes Jahr im Dezember in Japan mehr als 10000 Menschen jeden Alters in einem riesigen gemischten Chor, um als ungeübte Sängerinnen und Sänger mit einem großen Orchester die Neunte Symphonie in d-Moll op. 125 von Ludwig van Beethoven zu proben und aufzuführen. Damit entsteht alljährlich ein grandioses Ereignis, bei dem die Teilnehmer zu Tränen gerührt sind. Japaner scheinen Beethovens Neunte einfach zu lieben, sie singen sogar den Text von Friedrich Schiller – die Ode An die Freude  – in deutscher Sprache. Irgendetwas an dieser offiziellen Europahymne scheint ihre fernöstlichen Seelen zu berühren. Welche Bedeutung hat das gemeinsame Singen dieser einmaligen Symphonie in einem Chor mit 10000 Menschen, welche Sehnsucht wird damit befriedigt?
    Jedes Geschlecht, jedes Alter und jede Beziehungsform hat Wunschträume, aber nur selten können diese direkt und offen zum Ausdruck gebracht werden. Denn sie sind wie fast alles in menschlichen Beziehungen auch mit Ängsten verbunden oder schlummern tief im Unbewussten. Manchmal kommen die geheimen Wunschträume dann doch ans Tageslicht, allerdings gut getarnt in aufwendigen Verkleidungen und kunstvollen Maskierungen, so dass sie nicht nur von anderen, sondern auch von den Betroffenen selbst manchmal kaum erkannt werden. Aber es gibt einen Weg, ihnen dennoch nachzuspüren. Ihre Verkleidungen verraten sie manchmal, denn diese sind nicht zufällig. Wenn man die Verkleidungen nicht als das sieht, was sie vorgeben zu sein, sondern ihre symbolische Botschaft versteht, dann kommt man den Wunschträumen und Sehnsüchten hinter den Masken auf die Schliche.
    Eine weit verbreitete Verkleidung der Sehnsucht ist die Wendung eines persönlichen Wunschtraumes in einen materiellen Wunsch. So verbergen sich hinter den materiellen Wünschen oft die ideellen, die durch einen materiellen Wunsch nur symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Dann machen sich die persönlichen Sehnsüchte fest an Wünschen nach und Träumen von irgendwelchen Dingen, die der Zeitgeist und die jeweilige Kultur geprägt haben, die aber eigentlich gar nicht gemeint sind. Insofern gibt es auch echte und künstliche Wunschträume. Nur wer die Masken und Verschleierungen der Symbolik kennt, kann die dahinter verborgenen Sehnsüchte erkennen.
    Freiheit und Motorradfahren
    Wenn jemand Freiheit sucht und sie in seinem Leben nicht verwirklichen kann, dann kauft er sich ein Motorrad. Im Motorradfahren glaubt er, Freiheit finden zu können. Dies sind von der Sehnsuchtsindustrie gezielt hergestellte Missverständnisse, denn sie will von den Sehnsüchten der Menschen profitieren. Wennder Motorradfahrer schließlich mitten im Stau feststellt, dass sich das Gefühl der Freiheit doch nicht so recht einstellt, wie er sich das wünschte, dann wird ihm schnell ein anderer Weg zur Freiheit angeboten, der natürlich auch wieder etwas kostet. Vielleicht ein Wohnmobil, ein Caravan oder ein Urlaub am FKK-Strand.
    Die großen menschlichen Sehnsüchte beziehen sich z.B. auf Liebe, Nähe, Geborgenheit, Spiritualität, Freiheit, Sorglosigkeit, das Paradies, die Überwindung des Todes oder Gott. In unserem westlichen Denken werden alle diese Sehnsüchte vorzugsweise materialisiert, indem die Ideen an Dinge geknüpft werden. Diesen Vorgang nennt man Symbolisierung. Ein Symbol ist ein Zeichen für etwas und fortan unterscheidet man das Ding an sich von seiner symbolischen Bedeutung. Unser Leben und unsere Kultur sind voller Symbole: Der Adler ist das Symbol der Bundesrepublik