Sehnsucht
gefunden 66 . Dann besucht er sie in ihrem Haus und bei jedem weiteren Besuch werden seine Hoffnungen auf eine späte Erfüllung seiner Liebessehnsucht gröÃer.
Nach langem Werben lädt er sie schlieÃlich auf eine Erholungsreise auf eines seiner Schiffe ein. Als sie sich endlich küssen, hat sie dafür eine schamhafte Erklärung: Mein Gott, rief sie aus, was bin ich auf Schiffen verrück t 67 . Sie kommen sich körperlich so nah, wie sie es geistig schon sind und sie kommentiert dies lapidar: Wenn wir schon Dummheiten machen, bitte schön, dann doch wie erwachsene Leute. 68 Sie überwindet die Scham, ihren alten Körper bei Licht vor dem vier Jahre älteren Liebhaber zu entblöÃen, denn sie ist alt und hat zu viel erlebt. Seit über zwanzig Jahren war es das erste Mal, dass sie mit einem Mann schlief. Und wie alle Liebenden fragen sie sich danach, wie es nun weitergehen soll. Wollen sie zusammenbleiben, in ein Haus ziehen, es den Kindern sagen? Nein, sie entscheiden sich, auf dem Schiff zu bleiben und einfach immer weiter den Fluss auf und ab zu fahren. Der Kapitän ist verwirrt über diese Anweisung seines Chefs und fragt: Und was glauben Sie, wie lange wir dieses ScheiÃ-Hin-und-Zurück durchhalten können? Florentino Ariza war seit dreiundfünfzig Jahren, sieben Monaten und elf Tagen und Nächten auf die Frage vorbereitet: Das ganze Leben, sagte er. 69 So endet die Geschichte über Die Liebe in Zeiten der Cholera . Und die Leser schmunzeln voller Verständnis über die beiden alten Verliebten, die ihre restlichen Lebensjahre allein für sich auf dem Schiff verbringen wollen. Sie wollen die Zeit anhalten, zeitlos weiterleben und auf diese Weise dem Tod noch viele Jahre abtrotzen.
Selbstbestimmte Lebenszeit
Gibt es eigentlich einen selbstbestimmten Umgang mit der Zeit? Unbedingt ja! Manchmal erscheint dies beschwerlich, aber wie wir am Beispiel von Kapitän John D. Franklin in dem Buch Die Entdeckung der Langsamkeit von Sten Nadolny gesehen haben, kann das Langsamsein manchmal sogar schneller sein. Und ein verlangsamtes Leben kann durchaus intensiver und lebenswerter sein. Die eine Richtung im Umgang mit der Zeit besteht in den vielen verschiedenen Versuchen, die Zeit anzuhalten, hinauszuzögern, zu intensivieren, also dem Leben ein Mehr an Lebenszeit abzuringen. Dieser Umgang mit der eigenen Lebenszeit gilt als normal und menschlich.
Eine gegensätzliche Richtung besteht darin, die Lebenszeit bewusst, gezielt und geplant verkürzen zu wollen. Dazu gehören ein ungesundes Leben durch exzessives Rauchen, massiven Alkoholkonsum oder riskantes Sexualverhalten. Dies erscheint aufgrund des Genusscharakters oftmals auch verständlich. Auch bei lebensbedrohlichen Krankheiten sind wir gewillt, die Selbsttötung oder gar Sterbehilfe als eine verständliche Möglichkeit anzuerkennen, auch wenn wir sie nicht gutheiÃen oder gar legalisieren wollen. Wenn jemand nur noch kurze Zeit zu leben hat und diese Leidenszeit beenden möchte, erscheint ein Suizid menschlich nachvollziehbar und tolerierbar. Aber kann es auch jenseits solcher nachvollziehbaren Gründe einen selbstbestimmten Umgang mit dem Suizid geben? Wo endet die Selbstbestimmung des Menschen im Umgang mit seiner Lebenszeit?
Darf man seinen eigenen Tod bestimmen und selbst beschlieÃen, wann und wie man sterben will? Ist der Suizid vielleicht sogar ein Akt der Autonomie? Wenn es eine Lebenssehnsucht gibt, die sich aus Lebenshunger und Liebesdurst speist, dann gibt es vielleicht auch eine Todessehnsucht. Und woraus entsteht und besteht sie? Sind es vielleicht sogar Humanität und Dignität , wie Jean Amery in seinem Plädoyer für den Freitod meinte? Steht ein solcher Mensch vor dem Absprung gleichsam noch mit einem Bein in der Logik des Lebens, mit dem anderen aber in der widerlogischen Logik des Todes? Was ist denn diese widerlogische Logik des Todes 70 ? Muss man nicht eher davon ausgehen, dass ein Suizid niemals Ausdruck einer freien Willensentscheidung ist, sondern gerade ein Symptom für eine schwere krisenhafte Krankheit? Kann man Menschen diese Art des Umgangs mit ihrer Lebenszeit verbieten? Muss man sie vor sich selbst schützen und sie zur Not auch gegen ihren erklärten Willen in eine psychiatrische Klinik einweisen, um sie von diesen selbstzerstörerischen Gedanken und Absichten zu heilen?
Sterben ist eine Frage der Moral
In Taiwan gibt es eine Firma
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