Sehnsucht

will’s enden. O dass ihr glücklich wäret durch meinen Tod! Albert! Albert! Mache den Engel glücklich. Und so wohne Gottes Segen über dir! (…) Für dich zu sterben, Lotte, für dich mich hinzugeben. Ich wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder schaffen könnte. (…) So sei’s denn – Lotte! Lotte leb wohl! Leb wohl ! 80
    Sinngemäß besagen diese Zeilen auch: Durch diese Tat erhält mein Leben einen Wert und einen Sinn, denn ich verhelfe damit denjenigen, die ich liebe, zu einem sorglosen und harmonischen Leben. Zugleich werde ich damit von einer Schuld befreit, die mir das weitere Leben nicht mehr möglich macht.
    Solche spektakulären Suizide durch berühmte Persönlichkeiten sind allerdings nicht die Ursache von gehäuften Imitationen, sondern eher der Auslöser. Suizide treten bei depressiven Personen mit einer suizidalen Bereitschaft, einer gewissen Empfänglichkeit für diese Art des Suizids, fehlender sozialer Unterstützung in der Lebenskrise und einer besonderen sozialen Belastungs- und Stresssituation auf. Nur bei diesen Vorbedingungen kann derSuizid durch ein Vorbild ausgelöst werden, zumal sich damit die Hoffnung verbindet, durch die eigene Tat noch einmal eine besondere Aufmerksamkeit zu erlangen, was bei narzisstischen Krisen durchaus bedeutsam sein kann. Wie also kann man Todessehnsüchte verstehen?
    Todessehnsüchte
    Todessehnsüchte sind meist die emotionalen Begleiter einer schweren Depression. Sie entstehen aus dem versagenden oder misslingenden Leben, in dem sich Menschen allein gelassen und hilflos fühlen. Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war , schrieb Heinrich von Kleist, bevor er seine Geliebte Henriette Vogel und danach sich selbst erschoss. In dem kleinen Wort war hat er nicht nur literarische Genauigkeit bewiesen, sondern auch seinen eigenen Tod vorweggenommen. Liebe und Tod gehörten für ihn zusammen, das hat er schon in seinem Werk Penthesilea deutlich werden lassen. Die zentrale Aussage heißt: Wir töten, was wir lieben! Die Amazone Penthesilea tötet in Raserei zusammen mit ihren Hunden den geliebten Achill, der sich nicht gegen sie wehrt, weil auch er sie liebt. Besudelt von seinem Blut wird sie aus einem bösen Traum wach und kann nicht glauben, dass sie ihn tötete.
    Sind suizidale Menschen lebensmüde oder todessehnsüchtig oder beides zusammen? Hat die Todessehnsucht mehr mit dem misslingenden Leben zu tun oder gibt es auch unabhängig davon eine Sehnsucht nach dem Tod? Wäre es allein das misslingende Leben, dann könnten wir wahrscheinlich all den Menschen helfen, die sich das Leben nehmen wollen. Aber wenn der Tod selbst ersehnt wird, sind wir hilflos, denn dies widerspricht allen Gesetzen des Lebens. Oder ist der Tod auch ein Teil des Lebens? Alle Religionen weisen uns darauf hin, dass das Leben nicht mit dem irdischen Tod endet, sondern dass es ein Leben danach gibt. So sagt der Mönch in dem Film Von Menschen undGöttern , er sei wirklich neugierig darauf, was ihn nach dem Tod erwarte.
    Zwei Denkrichtungen erscheinen möglich, wenn man Todessehnsüchte verstehen und erklären will, eine in Richtung des Lebens und eine in Richtung des Todes. Das Leben ist so unerträglich, daher wähle ich den Tod, sagt die eine. Das klingt rational und nachvollziehbar. Außerdem gibt es für diese Position viele verständliche Gründe, selbst für all diejenigen, die trotzdem weiterleben wollen. Der Tod ist so süß und verlockend, sagt die andere Position. Was kann so verlockend am Tod sein? Wie kann er warm und angenehm erscheinen, ja sogar erstrebenswert und anziehend? Für Menschen, die das Leben lieben ist dieser Gedanke kaum denkbar. Vielleicht gehört schon eine Portion Skepsis dazu, der Zweifel und etwas Depression. Der Tod ist so erstrebenswert und verlockend, weil man mit ihm Liebe verbindet, eine Liebe in ihrer symbolischen Bedeutung. Wenn der Tod synonym für eine geliebte Person steht, dann erscheint im Tod auch eine symbolische und emotionale Nähe zu der verstorbenen Person. Dann verliert der Tod seinen Schrecken und wird mit dem Gesicht der geliebten Person verbunden. Der zu früh gestorbene Vater, die tote Mutter, das verlorene Kind, der verstorbene Freund. Sie alle werden mit dem Tod assoziiert und der Tod verspricht, zumindest eine symbolische Nähe zu der