Sehnsuchtsland
ihrem Mann, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.
»Erik, wir müssen umdrehen.«
Er machte sich an der Takelage zu schaffen. »Wieso?«, fragte er, ohne sie anzuschauen. »Hast du etwas vergessen?«
Beherzt holte sie Luft. »Ich weiß, dass du alles für diese Reise aufgegeben hast. Aber ich... Ich kann das nicht. Ich kann nicht mit dir kommen.«
Jetzt war es endgültig draußen, und Hanna fühlte mit grenzenlosem Erstaunen, wie leicht es gewesen war. Die Welt drehte sich noch, und es war kein Blitz niedergefahren, um sie zu erschlagen.
Er hatte sich aufgerichtet und schaute sie verdattert an. »Warum?«
Sie nestelte unbeholfen an ihrer Bluse herum. »Ich dachte, es würde helfen, unsere Ehe zu retten! Ich war auch sicher, dass es mir gelingen würde! Aber ich wollte nur davonlaufen! Vor dem Schmerz und der Trauer um das Kind.« Sie hob den Kopf und blickte ihn an. »Und um unsere Liebe, die wir zusammen mit dem Kind begraben haben.« Sie schöpfte zitternd Atem und trat einen Schritt auf ihn zu, suchte instinktiv seine Nähe, als könne sie ihm so Schutz bieten für das, was sie ihm noch sagen musste. »Erik, ich liebe dich nicht mehr.«
Zu Hannas Überraschung schien er es beinahe gelassen aufzunehmen. Einen Augenblick lang glaubte sie sogar, Erleichterung in seinen Blicken wahrzunehmen. Und eine Sekunde später wusste sie, dass es keine Einbildung war. »Ich muss dir auch noch was sagen«, meinte er unvermittelt.
Sie starrte ihn an und spürte einen Stich. Nicht schlimm, aber spürbar. Sie hatten viele gute Jahre miteinander gehabt und kannten einander. Hanna wusste Bescheid, auch ohne langatmige Erklärungen zu hören. »Elsa«, sagte sie ruhig.
Er nickte nur und machte sich dann wortlos daran, die Miranda zu wenden. In ihm tobten widerstreitende Gefühle. Gewaltige Erleichterung hatte sich seiner bemächtigt, und er brannte darauf, Elsa alles zu erzählen. Er hatte keine Ahnung, wie lange er vorhin noch ziellos in der Gegend herumgewandert war, eine Tasche mit ein paar hastig zusammengepackten Sachen über der Schulter und den Brief mit dem zusammengeklebten Foto in der Hand. Er hatte sich nicht entscheiden können, bis zuletzt, und er wusste immer noch nicht, was ihn am Ende dazu getrieben hatte, doch wieder zur Miranda zurückzukehren — Feigheit oder Pflichtgefühl.
Nun, inzwischen hatte sich diese Frage überholt. Eigentlich sollte er nur noch froh sein. Doch das, was in den letzten Tagen geschehen war, nagte an ihm. Er hatte um seine Ehe gekämpft und verloren, aber das war nicht der springende Punkt. Was ihm wirklich zu schaffen machte, war die Tatsache, dass Hanna dort drüben am Bug stand und wie hypnotisiert zum Haus dieses Doktors hinüberstarrte. Sie hatte offensichtlich keine Mühe gehabt, sich schnellstens Ersatz zu verschaffen. In einer Aufwallung von Zorn und Frustration umklammerte Erik das Ruder.
Doch dann rief er sich ein Bild aus der jüngeren Vergangenheit in Erinnerung. Wie sie kurz vor der Niederkunft ausgesehen hatte, mit ihrem gerundeten Bauch und dem madonnenhaften Lächeln. Die stille, melancholische Ruhe, die sie ausgestrahlt hatte, als sie beide auf die Geburt ihrer kleinen Tochter gewartet hatten. Vielleicht hätten sie es in einem anderen Leben besser machen können.
Nein, verbesserte er sich in Gedanken. Sie würden es besser machen, alle beide. Aber eben jeder für sich. Das war die wirkliche Erkenntnis, die er nach alledem für sich mitgenommen hatte. Dass sie eine Chance hatten, wieder glücklich zu sein, ein jeder auf seine Weise. Sie würden einander loslassen, dann war alles gut.
Hanna umklammerte die Reling und schaute wie gebannt zum Ufer hinüber. Weder Niclas noch Pelle waren zu sehen, anscheinend waren sie ins Haus gegangen. Die Miranda gelangte nach der Wende wieder in ruhigeres Fahrwasser und näherte sich bis auf etwa zweihundert Meter der lang gezogenen Bucht, in der das Grundstück lag. Viel näher würden sie nicht herankommen, und Hanna suchte fieberhaft den Uferstreifen und die Umgebung des Hauses mit den Augen ab. Doch nirgends war eine Bewegung zu entdecken.
Dann sah sie über den Kronen der Birken das flammenfarbene Viereck zum Himmel aufschießen. Der Drachen! Niclas hatte ihn repariert! Er flog höher als je zuvor und taumelte in verrückten Kreiseln auf und nieder, schneller, als das Auge ihm folgen konnte.
Zu viel, dachte Hanna angespannt. Sie gaben ihm zu viel Leine!
Im selben Moment geriet der Drachen ins Trudeln, er torkelte
Weitere Kostenlose Bücher