Sehnsuchtsland
war alles gesagt. Ihre gemeinsame Zeit war vorbei. Ohne sich noch einmal nach ihm umzudrehen, ging sie durch den Wald davon.
*
Ein Arzt führte sie zur Intensivstation und ermahnte sie, den Patienten nicht aufzuregen und nicht länger als fünf Minuten zu bleiben. Hanna bedankte sich und ging auf Zehenspitzen zu dem Bett, in dem Jan lag. Sein Gesicht war bleich und eingefallen, aber seine Augen leuchteten auf, als er Hanna an sein Bett treten sah.
Sie nahm vorsichtig seine Hand. »Ich möchte mich verabschieden.«
Er grinste ein wenig schief. »Wenn ich hier raus bin, werde ich wieder bei Lotta einziehen. Wahrscheinlich nimmt sie mich nur aus Mitleid auf. Aber das ist mir egal.«
Hanna lachte leise. »Lotta liebt Sie!«
Jan stritt es nicht ab. »Liebe ist das Wichtigste.« Er blickte ihr geradewegs in die Augen. »Nicht nur für Lotta und mich.«
»Wie meinen Sie das?«
Er schluckte und hielt ihre Hand fester. »Fahr nicht.«
Sie schüttelte den Kopf, dann ließ sie sich vorsichtig auf der Bettkante nieder, ängstlich darauf bedacht, nicht an die Kabel und Infusionsleitungen zu kommen.
»Es ist falsch«, flüsterte er.
Tränen stiegen in ihre Augen. »Ich will daran glauben, dass es richtig ist.«
Sein Blick ging zu dem blinkenden Monitor vor dem Bett. Verschiedenfarbige Diagramme verliefen dort in ruhigen, gleichmäßigen Kurven, der Beweis dafür, dass er sich erholte. Doch es hätte auch ganz anders kommen können, und das machte er ihr mit seinen nächsten Worten klar.
»Das Leben dauert nicht ewig, Hanna. Wir sollten es nicht verschwenden.«
Die fünf Minuten waren noch nicht um, aber es war trotzdem an der Zeit, zu gehen. Sie drückte ein letztes Mal seine Hand, dann verließ sie still das Zimmer.
Sie nahm ein Taxi, um zurück zu der kleinen Werft zu fahren. Diesmal war Erik an Bord, Hanna sah ihn schon von weitem.
»Erik«, rief sie ihm zu. »Ich bin da, wir können los!«
Er drehte sich zu ihr um und lächelte sie an, während sie ihm entgegenlief. Er war ihr Ehemann, und sie sagte sich, dass alles seine Richtigkeit hatte.
»Ich habe gehört, was passiert ist.« Er nahm ihr die Reisetasche ab und half ihr an Deck. »Wie geht es Jan?«
»Gut. Er wird wohl wieder ganz gesund werden.« Hanna hatte Mühe, ihn anzusehen, doch immerhin schaffte sie es, ihrer Stimme einen unbekümmerten Klang zu verleihen. »Können wir starten?«
»Wenn du bereit bist.«
Hanna hatte für eine Sekunde den vagen Eindruck, er warte darauf, dass sie ihre Meinung änderte. Doch dann bückte er sich, um das Tau vom Steg zu lösen. »Also gut«, sagte er. »Zweiter Versuch.«
Als er an Bord stieg, wandte sie sich eilig ab, weil sie nicht wollte, dass er bemerkte, wie es in ihr aussah. Sie legte beim Hissen des Hauptsegels mit Hand an, und nur Minuten später glitt die Miranda vor dem Wind wie auf Schienen durch den Sund.
Hanna ging unter Deck und zog sich um, dünne Shorts und eine leichte Bluse. Sie sagte sich, dass sie in der Kajüte bleiben sollte, doch sie brachte es nicht fertig. Unruhig stromerte sie über das Deck und blieb schließlich am Mast stehen, die Blicke unverwandt aufs Ufer gerichtet. Übelkeit wallte in ihr auf, als die Miranda den nächsten Küstenvorsprung passierte und backbord voraus das kleine rote Haus auftauchte. Er war da, sie konnte ihn sehen! Eine große und eine kleine Gestalt liefen über die Wiese. Es mussten Pelle und Niclas sein, denn die kleinere Gestalt hielt einen großen bunten Drachen in der Hand.
Hanna glaubte, sich keinen Moment länger auf den Beinen halten zu können. Sie klammerte sich am Mast fest und versuchte, die aufschießenden Tränen zurückzuhalten.
Gott, lass es nicht so furchtbar schwer sein, flehte sie, machtlos gegen die Gefühle, die mit unaufhaltsamer Gewalt über sie hereinbrandeten.
»Nein«, flüsterte sie. Diesmal hatte sie es gesagt, es wirklich ausgesprochen. Nicht laut, aber in ihren eigenen Ohren gut hörbar. Sie wollte nicht mit Erik um die Welt fahren. Sie konnte e s nicht. Es würde sie umbringen, denn der Teil von ihr, der sie wirklich am Leben erhalten würde — der war hier, dort drüben am Ufer. Sie könnte ihn sich herausreißen, aber wenn sie es tat, würde ihre Seele dabei sterben.
Entschlossen wandte sie sich zu ihrem Mann um. »Erik, ich muss mit dir reden.«
*
Niclas ging zum Haus zurück, als Frau Hellberg auftauchte. Im Grunde hatte er schon alles am Telefon mit ihr geklärt, aber die Mäklerin schien es sich zum Anliegen
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