Sehnsuchtsland
bitte zu, Lennart. Ich möchte dich für ein paar Tage ins Krankenhaus einweisen. Du musst mal wieder richtig durchgecheckt werden, je eher, desto besser.«
Lennart betrachtete sie, wobei er sich wie immer Mühe gab, seine Bewunderung nicht zu deutlich erkennen zu lassen. Sie hatte letztes Jahr ihren sechzigsten Geburtstag gefeiert, aber in seinen Augen war sie immer noch so schön wie damals vor vierzig Jahren, als Per sie das erste Mal mit hergebracht hatte. Auch wenn sie das leuchtende Kupferrot ihres Haars nach all den Jahren vermutlich nicht mehr ausschließlich der Natur verdankte und sich vor fünf Jahren heimlich hatte liften lassen — sie war und blieb die hinreißendste und attraktivste Person, die er je gesehen hatte.
»Wenn ich dich nicht hätte, Greta.« In einer plötzlichen Aufwallung von Sentimentalität drückte er ihren Arm. »Mach dir doch nicht so viele Gedanken. Unkraut vergeht nicht.« Er lächelte sie an. »Außerdem — was soll mir schon passieren mit einer so kompetenten Ärztin in der Nähe!«
»Ich kann nicht immer in deiner Nähe sein, Lennart. Wenn du dich weiterhin so bockig benimmst, streiche ich dich aus meiner Patientenkartei!«
»Solange du mich nicht als Freund streichst...« Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Jetzt komm, Greta. Mach nicht so ein besorgtes Gesicht! Wie wär’s, wollen wir auf die Pirsch gehen? Ich habe im Magdalenen-Forst einen kapitalen Hirsch stehen!«
Er lächelte sie aufmunternd an, doch sie runzelte die Stirn.
»Greta, ich werde mich ändern, ich verspreche es dir.«
Jetzt lachte sie endlich wieder. »Wie oft hast du mir das schon versprochen!«
»Dieses Mal meine ich es ernst«, verkündete er augenzwinkernd. Er wollte nicht vorgreifen, aber heute Abend würde sie sicher Grund haben, mit ihm zufrieden zu sein.
*
Sie gingen quer über den Platz vor dem Apartmenthaus und blieben beim Wagen stehen. Linda war schon seit dem Aufstehen nervös, und Nils bemerkte es. »Alles in Ordnung?«, fragte er, während er den Wagen aufschloss und ihr die Beifahrertür aufhielt. »Du bist so blass!«
»Ich bin nur ein bisschen aufgeregt. Als ich meinen Vater das letzte Mal sah, haben wir uns nur angeschrien.«
Nils legte seinen Aktenkoffer auf die Rückbank und zwinkerte Linda zu. »Das wird diesmal nicht passieren. Ich bin ja dabei.«
Während Linda einstieg, hörte sie sein Handy klingeln und hatte sofort ein ungutes Gefühl.
» Wiberg «, meldete Nils sich. »Herr Wilander , was ist passiert? Tut mir Leid, ich bin gerade auf dem Weg nach...« Er hielt inne und runzelte betroffen die Stirn. »Du lieber Himmel.« Er lauschte, dann sagte er: »Das sieht wirklich nicht gut aus. Okay, wir sehen uns in zehn Minuten in meinem Büro.«
Er hob die Hand, als Linda zu einer protestierenden Bemerkung ansetzte. »Keine Sorge, Herr Wilander , das kriegen wir hin! Bis gleich!«
»Ach komm, Nils!« Linda funkelte ihn empört an. »Du hast versprochen, mitzufahren!«
»Das war mein wichtigster Klient! Sie haben seinen Sohn mit Drogen erwischt. Tut mir Leid, aber das ist wirklich wichtig. Ich muss mich darum kümmern!« Seine Miene zeigte wenigstens ansatzweise sein schlechtes Gewissen, doch die Entschlossenheit, mit der er den Koffer wieder von der Rückbank des Wagens nahm, machte Linda klar, wo seine Prioritäten lagen.
»Gut«, sagte sie. »Dann warte ich eben.«
»Lieber nicht«, widersprach er sofort. »Ich weiß nicht, wie lange es dauert. Fahr am besten schon mal vor. Ich komme dann so schnell wie möglich nach.«
»Aber... «
Er war schon auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle. Bis zu seinem Büro waren es nur drei Stationen.
»Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, wenn du dich erst mal allein mit deinem Vater aussprichst!«, sagte er, schon im Weggehen begriffen. Er warf ihr einen kurzen Handkuss zu. »Ich rufe dich an! Wiedersehen, Liebling! Und sei mir nicht böse!«
Linda blickte ihm stirnrunzelnd nach. Beklommen überlegte sie, ob sie wirklich allein nach Hause fahren wollte. Doch dann entschied sie, dass es höchste Zeit war. Vier Jahre waren lang genug, und ihre bevorstehende Hochzeit war ein triftiger Grund, endlich alle Querelen beizulegen. Dies war die beste Gelegenheit, alles einzurenken. Irgendwann mussten sie und ihr Vater wieder zur Normalität übergehen, er konnte ihr unmöglich für den Rest seines Lebens grollen, auch wenn er wahrscheinlich immer noch derselbe alte Brummbär wie früher war.
Außerdem gefiel ihr der Gedanke,
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