Sehnsuchtsland
Zimmerleute zu grüßen. » Hej , Olav.«
» Hej , Chef. Henrik.« Olav blieb stehen, umgeben vom Duft frischen Teakholzes. Seine schwarze Pudelmütze und sein Overall waren von Sägestaub übersät.
»Was macht das Boot?«, wollte Lennart wissen.
»Wird mein Meisterstück«, sagte Olav knapp und frei von jeder Bescheidenheit. »So gutes Holz hatte ich schon lange nicht mehr.«
Henrik glaubte ihm unbesehen. Olav war in der Thorwaldsson-Werft der Experte für den Holzschiffsbau. In seinen Augen waren nur die nach guter alter Art gebauten Holzschiffe richtige Schiffe. Metall- und Kunststoffrümpfe konnte mit den entsprechenden Maschinen jeder herstellen, aber Holzschiffe brauchten eine besondere Hand. Es waren Kunstwerke, und er war der Künstler, unter dessen Händen sie der Vollendung entgegenstrebten. Natürlich erst, nachdem Henrik sie vorher bis ins kleinste Detail am Reißbrett und am Computer entworfen hatte. Zwischen ihm und Olav gab es keine Konkurrenz, sie betrachteten die Frage, wer denn nun von ihnen beiden die Boote schuf, eher als alten Witz, an dem sie sich ergötzten, seit Henrik hier vor gut vier Jahren als Chefdesigner angefangen hatte. Was Henrik betraf, so waren sie in seinen Augen einfach ein hervorragendes Team.
Henrik mochte den alten Burschen. Olav war nur zwei Jahre jünger als Lennart und dachte wie sein Chef nicht im Traum daran, jemals freiwillig in Rente zu gehen.
»Ich komme es mir morgen ansehen«, sagte Lennart im Weitergehen zu Olav. »Bin schon sehr gespannt.«
»Sie werden noch Freude an dem Boot haben, wenn ich schon lange unter der Erde liege«, rief Olav ihm nach. »Sogar Ihre Mädchen werden sich noch daran freuen!«
Falls Olavs launige Schmeichelei in Bezug auf Lennarts Zählebigkeit seinem Chef gefiel, so wurde dieser Eindruck durch den zweiten Satz sofort wieder zunichte gemacht. Henrik sah es an Lennarts verkniffener Miene und seufzte innerlich. Es war immer ein Fehler, Lennart Thorwaldssons Töchter in der Mehrzahl zu erwähnen. Für ihn war Gunilla seine Tochter. Punkt.
»Wie weit bist du mit dem Entwurf für das Boot von Tom Bowlers ?«, wollte Lennart wissen, während sie die Treppe vom Trockendock in die Halle hinabstiegen .
Henrik, der auch mit dieser Frage bereits seit einer Stunde gerechnet hatte, verbiss sich ein Lächeln. »Wenn du morgen Nachmittag in mein Büro kommst, wirst du...«
Er unterdrückte einen erschrockenen Ausruf. Sein Schwiegervater war abrupt mitten auf der Treppe stehen geblieben und umklammerte laut schnaufend den Handlauf des Geländers. Henrik stützte ihn eilig. »Was ist, Lennart? Ist dir nicht gut?«
»Alles bestens, nichts passiert.« Lennart hatte sich wieder gefangen. Er war blass, schien aber wieder problemlos atmen zu können.
»Bist du sicher?« Henrik betrachtete ihn besorgt, dann schüttelte er den Kopf. »Ich rufe Greta an.«
»Nein, keinen Arzt«, versetzte Lennart barsch. »Es geht schon wieder.« Er ging weiter und machte dabei tatsächlich den Eindruck, als sei alles in Ordnung.
»Sag mal, wo ist eigentlich Gunilla?«
»Sie ist gestern nach Stockholm geflogen«, sagte Henrik. »Zu einem Kundentermin.«
»Hauptsache, sie ist morgen zum Essen wieder zurück. Ich habe euch etwas mitzuteilen.«
Lennart hatte das in einem eigenartig bedeutungsvollen Tonfall gesagt, der Henrik irritierte. Doch er stellte keine Fragen. Was immer Lennart ihnen morgen erzählen wollte — sie würden es früh genug erfahren.
*
Linda stellte sich hin und wieder gern vor, dass die Svenja ihr Schiff wäre, aber die meiste Zeit war sie froh, dass sie Nils’ Schwager gehörte. Jens war Seniorpartner bei Svensson und Bergmann und verdiente Geld wie Heu, folglich konnte er auch die Beiträge für den Yachtclub und die Liegegebühren bezahlen, ebenso wie alle Inspektionen, ganz zu schweigen von solchen Kleinigkeiten wie Diesel, Schmieröl und sämtliche Verschleißteile.
Nils und sie liehen sich die Svenja während der Sommermonate alle vier Wochen einmal aus und machten einen Törn die Küste entlang, für mehr fehlte Nils die Zeit. Und die Lust. Er segelte nicht halb so gern wie sie und behauptete oft scherzhaft, sie müsse in einem früheren Leben ein Seemann gewesen sein.
Linda fand durchaus, dass da was dran sein könnte, zumindest die Richtung stimmte. Die Schiffe, auf denen sie groß geworden war, hatten sich zwar sämtlich und in allen Stadien der Vollendung an Land befunden, aber die Jungfernfahrt war jedes Mal das Beste an allem
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