Sehnsuchtsland
danach, sie zu ohrfeigen. Hastig verschränkte er die Arme vor der Brust, während er mit düsteren Blicken verfolgte, wie sie zur Tür ging.
*
Tränenblind stürmte Linda aus der großen Halle, nur noch von dem Wunsch beseelt, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.
Hass stieg in ihr auf, als sie Gunillas Stimme hinter sich hörte.
»Linda, warte!«
Sie blieb nicht stehen, sondern beschleunigte ihre Schritte. Alles, was sie jetzt noch zu ihrem Unglück brauchte, war eine Unterhaltung mit Gunilla. Hastig wich sie ein paar Arbeitern aus, die gerade einen Großmast auf einen Hänger hievten. Im selben Moment schloss Gunilla zu ihr auf. »Linda, tut mir Leid, ich wusste doch nicht, was du vorhast!«
Linda lief weiter und starrte stur geradeaus. »Was ist eigentlich los mit dir?« Ihre Stimme war wutverzerrt. »Gestern wolltest du in London leben, mit deiner großen Liebe! Heute gründest du eine Familie und willst wieder in der Firma arbeiten!«
Gunilla blieb beharrlich an ihrer Seite. Ihre hohen Absätze hallten auf dem Asphalt des Hallenvorplatzes, während sie versuchte, mit Linda Schritt zu halten. »Ich verstehe dich nicht! Du hast mir vorgeworfen, dass ich alles stehen und liegen lasse! Und jetzt sehe ich ein, dass es ein Fehler war, und komme zurück — aber das passt dir auch nicht!«
Linda warf die Hände in die Luft. »Ich weiß nicht, was das alles soll! Du hast mir erklärt, dass du den Job in der Werft nicht mehr willst. Du hast mir erklärt, dass du Henrik nicht mehr liebst. Du wolltest weggehen !«
»Sag mal, wieso regst du dich eigentlich so auf?«, wollte Gunilla erbost wissen. »Im Prinzip geht dich das Ganze überhaupt nichts an!«
Linda blieb stehen und fuhr ruckartig zu ihrer Schwester herum. »Du trampelst im Leben anderer Menschen herum!«, schrie sie mit schwankender Stimme. »Du hast keine Ahnung, welchen Schaden du damit anrichtest!« Mühsam holte sie Luft und setzte etwas leiser hinzu: »Hast du eigentlich Henrik mal gefragt, was er von deinem plötzlichen Meinungsumschwung hält?«
»Henrik?«, wiederholte Gunilla sichtlich irritiert. »Was kümmert dich denn Henrik?«
»Was er mich kümmert?« Linda lachte hohl. Ihr war entsetzlich übel, und sie hätte sich gern hingesetzt und den Kopf zwischen die Knie gelegt, bis es aufhörte. Doch das musste bis später warten. Zuerst musste sie dies hier zu Ende bringen. Sie holte tief Luft.
»Mein Gott, Gunilla. Ich liebe Henrik!« Jetzt war es draußen. Warum auch nicht. Heute war anscheinend der Tag der großen Wahrheiten. Zu dumm nur, dass sie selbst diejenige war, die damit herausrücken musste, nachdem Henrik es offenbar nicht über sich gebracht hatte, seine schwangere Frau damit zu schocken.
Linda schaute ihrer Schwester in die Augen, bevor sie bitter fortfuhr: »Ich habe ihn immer geliebt. Deswegen bin ich auch damals weggegangen. Ich konnte es einfach nicht ertragen, ihn mit dir zusammen zu sehen.«
Gunillas Gesicht war mit einem Mal kalt und starr wie Marmor. »So ist das«, sagte sie in seltsam unbeteiligtem Tonfall. »Du dachtest also, wenn ich nach London gehe, hast du endlich freie Bahn bei ihm, ja?«
Sie wandte sich ab und ging ein paar Schritte weg. »Tut mir Leid für dich, Linda. Henrik und ich, wir gehören zusammen. Durch das Baby mehr denn je. Wir hatten nur... eine kleine Krise. Aber jetzt werden wir eine glückliche Familie sein.«
Linda konnte den Anblick ihrer Schwester keine Sekunde länger ertragen. »Ich wünsche euch viel Glück«, sagte sie. Anschließend ging sie so schnell sie konnte davon.
*
Linda legte die Strecke nach Göteborg im Rekordtempo zurück, teilweise ein riskantes Unterfangen, weil sie vor lauter Tränen während der Fahrt manchmal die Straße nicht richtig sehen konnte. Sie stellte den Wagen vor dem Apartmenthaus ab und prüfte kurz im Innenspiegel, ob sie sich in dieser Verfassung überhaupt unter Menschen trauen konnte. Ihre Augen waren rot und geschwollen, doch wenn man nicht zu genau hinschaute, würde es gehen. Nils war sowieso nicht zu Hause, sie hatte ihn während der Fahrt noch angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie auf dem Heimweg war. Er hatte versprochen, früher von der Arbeit heimzukommen, wann immer das sein mochte. Die nächsten ein, zwei Stunden würde sie sicherlich noch ihre Ruhe haben, Zeit genug, sich ein wenig abzuregen und sich mit kalten Augenkompressen oder Make-up optisch wieder auf Vordermann zu bringen.
Dumpf überlegte sie, dass sie eigentlich
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