Sehnsuchtsland
froh sein könnte, ihren Job im Museum noch zu haben. Um ein Haar hätte sie heute Früh dort angerufen und gekündigt, und sie hatte es nur deswegen nicht getan, weil die ersten Schritte in ihr neues Leben so aufregend gewesen waren.
Fast hätte sie laut aufgelacht, als sie daran dachte, wie unglaublich naiv sie doch gewesen war. Die große Liebe gab es nicht, egal wie sehr sie daran hatte glauben wollen. Letztlich tatja doch jeder das, was gerade am besten passte, Gefühle hin oder her.
Erschöpft schloss sie die Wohnungstür auf und betrat die kleine Diele. Einen Moment blickte sie sich um, merkwürdig desorientiert und mit dem sicheren Gefühl, überhaupt nicht hierher zu gehören.
Seltsam berührt stellte sie ihre Tasche ab und ging hinter die Küchentheke, um sich ein Glas Wasser einzuschenken.
Dann sah sie das Paket auf dem Tisch liegen, groß, weiß und mit einer dekorativen roten Schleife verziert.
Zögernd stellte sie das Glas ab und ging zur Sitzgruppe, wo sie sich langsam auf das Sofa sinken ließ und den Deckel der Pappschachtel öffnete.
Cremefarbener, perlenverzierter Tüll blitzte zwischen mehreren Lagen Seidenpapier hervor und erinnerte sie an etwas, das sie vollkommen vergessen hatte. Ihre eigene Hochzeit, die in weniger als drei Wochen stattfinden sollte.
*
Lennart blickte überrascht von seinem Buch auf, als seine älteste Tochter das Krankenhauszimmer betrat.
Gunilla eilte auf ihn zu, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Stirn. » Hej , Papa! Wie geht es dir?« Rasch schlüpfte sie aus ihrem Mantel und legte ihn zur Seite, während Lennart sie perplex musterte.
»Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist schon in London!«
Sie zog sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich. »Ich muss dir was sagen, Papa.« Sie verschränkte die Hände im Schoß und blickte ihn ernst an. »Ich bleibe hier.«
Lennart verstand die Welt nicht mehr. »Und was ist mit John Borman ?«
Gunilla senkte den Kopf. »Ich habe nachgedacht. Ich denke, ich werde hier mehr gebraucht als in London.«
Seine Augen hatten sich misstrauisch verengt. »Was ist denn das plötzlich? Familiengefühl? Verantwortungsbewusstsein?«
Sie schob das Kinn vor. »Sei nicht so knurrig«, meinte sie tadelnd. »Ja, wahrscheinlich ist es Familiengefühl. Du brauchst mich in der Werft. Das ist das eine.« Sie hielt inne, während sich ein Lächeln in ihre Mundwinkel stahl. »Aber vor allem möchte ich, dass mein Kind in deiner Nähe aufwächst.«
Er glaubte zuerst, sie nicht richtig verstanden zu haben, aber als im nächsten Augenblick ein strahlendes Grinsen über ihr Gesicht ging, wusste er, dass sein Gehör nichts zu wünschen übrig ließ.
»Soll... soll das heißen, du bist...« Er stockte, weil ihm die Stimme versagte. Gunilla beendete den Satz für ihn. »Ja, das soll es heißen. Du wirst einen Enkel bekommen!«
Lennart merkte, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Plötzlich fühlte er sich von einer machtvollen, herrlichen Energie durchflutet. Ein Kind! Er würde Großvater werden! Und Gunilla würde hier bleiben! Impulsiv ergriff er ihre Hand und drückte sie gegen seine Lippen. »Das ist ja wunderbar!«, brachte er stammelnd hervor. »Ich freue mich!« Halb lachend, halb weinend fügte er hinzu: »Ich werde einen Enkel haben, was für eine wunderbare Aussicht! «
Gunilla lachte befreit auf und küsste ihn auf die Wange, während er ihre Hand fest in seiner behielt, die überschäumende Freude und den Frieden genießend, der ihn mit einem Mal erfüllte.
Einen Augenblick hatte er den merkwürdigen Eindruck, so etwas wie Verlegenheit oder einen Hauch von schlechtem Gewissen über ihr Gesicht huschen zu sehen, doch das war natürlich eine Täuschung. Bewegt schaute er sie an. »Du hättest mir keine schönere Nachricht bringen können!«
*
Henrik stand an der Mole und starrte ins Wasser, die Ellbogen auf das Geländer gestützt und ohne die Absicht, allzu bald wieder nach Hause zurückzukehren. Innerlich zerrissen von Gefühlen, die er nicht richtig einordnen konnte, fragte er sich, ob es überhaupt einen Weg aus diesem Dilemma gab. Falls ja, hatte er keine Ahnung, wie er ihn finden sollte.
Er blickte auf, als er jemanden näher kommen hörte. Es war Greta, die mit dem Fahrrad unterwegs war. Sie kam über die Mole gefahren und lächelte, als sie ihn erkannte. Henrik hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Die Vorstellung, jetzt auch noch freundliche Konversation betreiben zu müssen, schreckte ihn
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