Sehnsuchtsland
auch Gedanken lesen.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Tja, es scheint so, als hätten wir beide ganz schön viel gemeinsam.«
Hinter ihnen erstürmten ein paar Kinder den Stand und gaben lärmend ihre Bestellungen auf, während Lena und Magnus einträchtig im Schatten der Bäume die Uferstraße entlangschlenderten und ihr Eis löffelten. Lena wälzte die Frage, die sie ihm schon die ganze Zeit hatte stellen wollen, abermals durch den Kopf, bevor sie endlich durchatmete und es hinter sich brachte. Doch im selben Moment wollte auch er etwas sagen. Sie fingen beide gleichzeitig an zu sprechen und lachten, weil keiner den anderen verstanden hatte.
»Zuerst Sie«, sagte Magnus auffordernd.
Lena musste sich erneut dazu zwingen, es auszusprechen. »Warum ist eigentlich Ihre Frau nicht mit Ihnen hierher gekommen?«
Magnus versuchte, seine Verlegenheit zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht ganz. Ein Blick in Lenas Gesicht, und ihm war klar, dass sie es ihm anmerkte.
»Britta ist Journalistin. Sie ist ziemlich erfolgreich. Und obendrein auch sehr ehrgeizig.« Er stocherte abwesend in seinem Eisbecher herum. »Die letzten Jahre war sie dauernd unterwegs. Das ist ziemlich schwierig für eine Beziehung.«
Lena unterbrach ihn nicht. Das, was er ihr da erzählte, kam ihr seltsam bekannt vor. Beziehungen, in denen einer oder beide immerzu auf Reisen waren, hatten im Grande keine Basis. Das wusste niemand besser als sie selbst. Unvermittelt kam ihr in den Sinn, dass sie noch kein einziges Mal mit Malte gesprochen hatte, seit sie hier war. Wo er jetzt wohl war? Höchstwahrscheinlich irgendwo auf der anderen Seite des Erdballs.
»Britta hat sich jetzt um einen festen Job in Göteborg beworben«, fuhr Magnus fort. »Beim Dagbladed , als Chefin des Kulturressorts.«
»Das Dagbladet ist eine gute Zeitung.« Lena sagte das Erstbeste, was ihr in den Sinn kam. Sie merkte selbst, wie nichts sagend es sich anhörte. Aber immer noch besser als Göteborg ist aber weit weg von Stockholm — oder etwas in dieser Art.
»Es wäre eine tolle Chance für Britta«, sagte Magnus. Er gab sich Mühe, es heiter klingen zu lassen, aber in seinen Augen stand ein Ausdruck von Verlorenheit.
»Für Ihre Frau ist es vielleicht eine tolle Chance«, pflichtete Lena ihm behutsam bei. »Aber für Ihre Ehe?«
Magnus zögerte. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich ehrlich, während er bei einem verwitterten, von Sitzbänken umrahmten Holztisch stehen blieb und auf den See hinausschaute. »Wir haben schon länger Schwierigkeiten, Britta und ich.« Er hob die Schultern. »Wir haben eine Menge versucht, um unsere Ehe zu retten. Haben immer wieder Anläufe genommen, aber...« Er verstummte resigniert Erst nach einer Weile setzte er mit angestrengtem Lächeln hinzu: »Die Dinge ändern sich.«
Sie sahen sich an, schweigend, versunken, jeder in seine eigenen bedrückenden Gedanken vertieft.
*
Ingrid roch an den Rosen und stellte die Vase, in der sie den Strauß arrangiert hatte, auf dem Beistelltischchen draußen auf der Terrasse ab, bevor sie sich anschickte, den Tisch zu decken. Der Salat war bereits angerichtet, Teller und Gläser hatte sie ebenfalls schon herausgebracht. Es wäre eine Sünde gewesen, bei diesem herrlichen Sommerwetter drinnen zu essen.
Lena stand mit dem Rücken zu ihr vor dem niedrigen Holzzaun, der die Terrasse zu der leicht abfallenden Wiese hin abgrenzte. Versonnen schaute sie hinüber zu der schmalen kleinen Bucht, die sich in der Senke unterhalb des Hauses erstreckte. Der Himmel über ihr war von einem fast durchsichtigen Blau, übersät von bizarren Tupfen weißer Watte. Irgendein Fluggast hatte mal zu ihr gesagt, dass nirgendwo auf der Welt die Wolken so watteartig aussehen wie in Schweden. Zum ersten Mal überlegte Lena, ob da vielleicht was dran sein könnte.
Im Normalfall machte sie sich selten Gedanken über das Aussehen von Wolken, schließlich hatte sie davon fast täglich kilometerüefe Schichten unter sich. Doch heute schien sie sich über die äußere Erscheinung aller möglichen Dinge den Kopf zu zerbrechen. Warum sonst nahm sie die Farbe des Wassers, der Bäume und der Rosen da drüben in der Vase auf einmal ganz anders wahr als vorher?
»Geht’s dir gut?«, wollte Ingrid wissen, während sie die Salatschüssel und den Brotkorb in die Mitte des Tisches stellte.
Lena wandte sich zu ihr um und kam an den Tisch. »Ja, ich bin nur ein bisschen müde. Zu viel Sauerstoff vermutlich.« Sie half Ingrid, die
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