Sehnsuchtsland
Ein Bild wie aus einem liebevoll illustrierten Märchenbuch.
Das Essen, das Ingrid ihnen eingepackt hatte, war weniger märchenhaft als vielmehr durchaus profan, allerdings im besten nur denkbaren Sinne. Magnus war davon überzeugt, noch nie im Leben so gute Hausmannskost genossen zu haben. Alles, was zu einem zünftigen Picknick dazugehörte, war vertreten. Leckeres Brot, Käse, Schinken, Obst, Gürkchen, Hering im Glas. Ingrid hatte sogar daran gedacht, eine Flasche Bier für Magnus einzupacken. Er hatte sie bereits leer getrunken und fühlte sich angenehm entspannt. Die Daumen in die Schlaufen seiner Jeans gehakt, ging er müßig zum Ufer und schaute hinüber zu der dicht mit Bäumen bestandenen Insel, die sich in der Mitte des Sees befand.
Emma saß auf der Decke, die Beine von sich gestreckt, die Hände hinter sich aufgestützt. »Super«, sagte sie verträumt. »So sollte es immer sein.«
» Mhm .«
»He, du hörst mir überhaupt nicht zu«, beschwerte Emma sich.
Magnus ging zur Decke hinüber und beugte sich mit der Kamera über sie. »Bitte lächeln!«
Sie grinste ihn übertrieben an, ein dunkelhaariger Kobold mit weißen Zähnen und blitzblauen Augen. In ihrem rosa Kleid sah sie einfach entzückend aus. Ein paar Jahre noch, und Magnus würde vermutlich nicht mehr damit nachkommen, all die Jungs zu zählen, die mit ihr ins Kino gehen wollten.
»Denkst du schon wieder an Marielund?«, wollte sie wissen. »Was hast du nur immer mit diesem Haus?«
Er setzte sich zu ihr auf die Decke. »Ich habe dir doch erzählt, dass ich als Junge mal dort Ferien gemacht habe. Das habe ich nicht vergessen können, weil es mir so gut gefallen hat.«
Emma nahm ein Stück Brot aus dem Picknickkorb und biss hinein. Sie schaute über den See hinüber zu dem alten Herrenhaus, das rosarot in der Abendsonne leuchtete. »Hm, es ist ein bisschen wie verzaubert«, sagte sie kauend. »Wer wohnt da?«
»Eine Frau. Elinor Frödin.«
»Allein?«
Magnus nickte.
»Ist das da nicht einsam?«
Magnus zuckte die Achseln. »Vermutlich schon.«
Emma richtete sich auf. »Mund auf und Augen zu.«
»Was?«, fragte Magnus perplex.
»Mach schon«, verlangte sie.
Er gehorchte amüsiert und ließ es sich gutmütig gefallen, dass sie ihm ein Stück von ihrem Brot zwischen die Zähne schob. Er kaute und gab ein genießerisches kleines Stöhnen von sich, weil es so gut schmeckte.
»Lecker, oder?«, fragte Emma strahlend. »Findest du nicht, dass alles hier so gut schmeckt wie es schön ist?«
Magnus blinzelte verblüfft. »Was ist das denn für ein Satz?«
»Ein wahrer«, behauptete Emma im Brustton der Überzeugung. Sie räumte die benutzten Teller in den Picknickkorb und stand auf. »Ich muss jetzt gehen. Björn hat mir versprochen, dass ich dabei sein darf, wenn der Tierarzt die Pferde impft.« Sie schaute ihn fragend an. »Du findest doch allein zurück, oder?«
Magnus wusste nicht recht, ob sie sich einen Spaß mit ihm machte oder es ernst meinte. Sie war in einem Alter, bei dem die Grenze zwischen kindlicher Arglosigkeit und erwachsener Ironie zu verschwimmen begann. Magnus versuchte, mit seiner Antwort beide Seiten zu bedienen.
»Ich komme zwar aus der Stadt, aber mein Orientierungssinn funktioniert noch«, sagte er trocken.
Das brachte sie zum Kichern. Also doch erwachsene Ironie. Magnus half ihr, die Decke zusammenzulegen.
»Wenn du Björn gleich siehst, kannst du ihm sagen, dass ich ihm gerne helfe, den Zaun zu reparieren, wenn er will.«
Emma lächelte ein wenig ungläubig, schon im Gehen begriffen. »Du bist schon komisch, weißt du das? Zu Hause schraubst du nicht mal eine Glühbirne rein, und hier gibst du den Handwerker.«
Magnus erwiderte ihr Lachen und ließ sich nicht anmerken, wie ihre Bemerkung ihn getroffen hatte. Während sie mit dem Korb zurück zum Gut der Lagerbergs marschierte, setzte er sich gedankenverloren in Bewegung und lenkte seine Schritte in Richtung Marielund.
War er wirklich so? Hatte seine Tochter zu Recht dieses Bild von ihm? War er für sie ein Mann, der nichts von praktischen Dingen verstand? Er, der eine mehrjährige Schreinerlehre absolviert hatte?
Bei näherem Nachdenken musste er vor sich selbst einräumen, dass ihre Einschätzung vielleicht zutraf. Er hatte sich zwar gut aufs Schreinern verstanden, aber sonderlich gefallen hatte es ihm nie. Sein Vater hatte die Idee gehabt, dass er Tischer werden sollte. Magnus hatte nicht großartig protestiert, es war ein Beruf, der ihm so passend
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