Sehnsuchtsland
umrahmte ihr feenhaft zartes Gesicht. Sie war schmal und für eine Frau ungewöhnlich groß, fast so groß wie Niclas mit seinen Einsachtzig . Wenn sie, so wie jetzt, Schuhe mit hohen Absätzen trug, überragte sie ihn sogar um zwei oder drei Zentimeter.
» Hej , Niclas! Seid ihr fertig?« Sie küsste ihn rasch auf die Wange.
»Oh, Mann! Die Geburtstagsparty!« Niclas hätte am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Damit war auch geklärt, warum sie sich so herausgeputzt hatte. Normalerweise trug sie nie etwas anderes als Jeans und bequeme Hemden. Ihre Mutter wurde heute fünfundfünfzig, und er stand hier wie ein Idiot in seiner Küche und hatte nicht mal ein Geschenk.
»Ich hab’s total vergessen!« Er schüttelte reumütig den Kopf. »Entschuldige, es war heute so viel los. Ich habe endlich in Stockholm... «
»Kein Problem«, fiel Siv ihm ins Wort. »Aber jetzt beeil dich bitte.« Sie ging zum Garderobenschrank und suchte darin herum. »Brauchst du eine Jacke?«
»Nein, es geht ohne.«
»Wo ist Pelle?«
Niclas schaute seufzend die Treppe hoch. »Ich glaube nicht, dass er mitkommt.«
Siv zog die Brauen zusammen. »Warum denn nicht?«
Niclas hob die Schultern. »Wir hatten eine... ähm , Auseinandersetzung.«
In diesem Moment hörte man im ersten Stock eine Tür zuklappen, und eine Sekunde später tauchte Pelle oben an der Treppe auf.
Niclas fiel die Kinnlade herab. Sein Sohn schaffte es immer wieder, ihn in Erstaunen zu versetzen, nur, dass es diesmal ausnahmsweise in eine positive Richtung ging. Pelle hatte sich umgezogen, er trug seine besten Jeans und dazu das neue T-Shirt, das Niclas ihm kürzlich aus der Stadt mitgebracht hatte. Die Schuhe hatte Pelle sich vor ein paar Wochen selbst ausgesucht, es war eine dieser verboten teuren Turnschuhmarken, die bei Jungs seines Alters zur Pflichtausstattung gehörten und die schon Heerscharen von Eltern an den Rand des nervlichen und finanziellen Ruins getrieben hatten, Niclas nicht ausgenommen.
Die Haare hatte Pelle sich mit Gel zu einer flotten Igelfrisur hochgestylt, und wenn Niclas seiner Nase trauen konnte, wehte ihm da eben sogar ein Hauch seines eigenen Rasierwassers in die Nase. Sprachlos schaute er zu, wie sein Sohn an ihm vorbei- und zur Haustür marschierte. In seinen Händen hielt er ein kompliziert aussehendes Konglomerat aus unzähligen Legosteinen, das erst auf den zweiten Blick als entzückendes individuelles Kunstwerk zu erkennen war: Es war ein Blumentopf mit vielen leuchtend bunten Blüten. Wenn sich Niclas nicht sehr täuschte, war dieses Gebilde noch vor ein paar Tagen ein ganz profanes Raumschiff gewesen.
Niclas war fasziniert von seinem eigenen Kind, und mit einem Mal fühlte er sich von einem fast albernen Stolz übermannt. Sein Sohn mochte sich zwar regelmäßig daneben benehmen und ihn tagtäglich mit seinen eigensinnigen Extratouren zur Verzweiflung treiben, aber wie man es auch drehte und wendete — er hätte Pelle um nichts in der Welt auch nur um ein Jota anders haben mögen.
In der offenen Haustür blieb Pelle stehen und drehte sich um, ein schiefes Grinsen auf den Lippen. »Können wir endlich fahren? Tante Lotta wartet bestimmt schon auf uns!«
Niclas warf Siv einen Blick zu, und sie tauschten ein kurzes Lächeln, bevor sie dem Jungen nach draußen folgten.
*
Hanna schaute sich erfreut um. Lotta hatte nicht übertrieben, das Zimmer war wirklich zauberhaft. An den Wänden hingen aufwändig gerahmte Bilder. Es waren echte Gemälde, keine Kunstdrucke, wie Hanna auf den ersten Blick erkannte. Der Stil war auf eigenwillige Weise abstrakt, aber Hanna hätte darauf gewettet, dass die Bilder jeder Galerie in Stockholm Ehre gemacht hätten. Sie tippte sofort darauf, dass sie von Lotta stammten.
Die Wand neben der Tür wurde von einem großen, gemauerten Kamin beherrscht, auf dessen Sims ein dunkel lackiertes Schiffsmodell stand, eine antike Rarität. Auf einer kleinen, ebenfalls antiken Kommode stand eine Vase mit gefällig arrangierten Rosen im selben cremeweißen Farbton wie der Wandanstrich dahinter. Mattweiß war auch die Tagesdecke auf dem großen, von einem schmiedeisernen Schnörkelrahmen umgebenen Bett. Man sah sofort, dass Lotta Olsson das Wohlergehen ihrer Gäste am Herzen lag. Das Zimmer war auf eine beinahe liebevolle, sehr private Weise eingerichtet und dekoriert.
Die hohen Sprossenfenster wiesen zum Garten und boten einen prachtvollen Ausblick aufs Wasser. Die ersten Gäste waren eingetroffen, ihr
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