Sehnsuchtsland
Spiegel und schnitt sich selbst eine Grimasse, während sie sich das Haar aus dem Gesicht strich. »Lächeln, Hanna!«, befahl sie sich.
Doch daraus wurde nichts, weil im nächsten Moment Eriks Handy piepte. Hanna suchte ein paar Sekunden, bis sie es in seiner Jacke lokalisiert hatte, die über dem Stuhl hing.
Auf dem Display leuchtete der Name Elsa. Befremdet runzelte Hanna die Stirn, dann steckte sie das Handy ein und ging nach unten.
Auf ihrem Weg nach unten sah Hanna, dass die kleine Hotelhalle mit ähnlicher Liebe zum Detail ausgestattet war wie das Zimmer. Auf dem Empfangstresen standen frische Blumen, und im Hintergrund war ein großes hölzernes Relief zu sehen, das vermutlich vor zweihundert Jahren eine alte Bauernkirche geschmückt hatte. Hinter dem Tresen hing ein hoher Spiegel mit Jugendstilornamenten, und über dem Deckenbalken der Küchentür war als witziger Kontrapunkt ein Elchgeweih angebracht.
Lotta hatte ein ungewöhnlich ausgeprägtes Stilempfinden und einen ausgefallenen, exquisiten Geschmack. Für Hanna war es beinahe wie die Begegnung mit einer Seelenverwandten. Farben und Formen und das fantasievolle Komponieren von Materialien unterschiedlicher Art waren bisher immer ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Lebens gewesen. Bange fragte sie sich, ob sie es ein ganzes Jahr aushalten konnte ohne ihre Arbeit. Möglicherweise war sie allzu zuversichtlich gewesen in ihrer Bereitschaft, diesen Aspekt ihres Daseins einfach für längere Zeit auszublenden.
Eines der Küchenmädchen trug auf dem Weg nach draußen eine Platte mit Häppchen durch die Halle. Lotta, die am Fuß der Treppe stand, streckte die Hand aus und stibitzte sich eines davon. Genüsslich kauend wandte sie sich zu Hanna um, als diese die Treppe herunterkam.
»Entschuldigung, aber ich nasche für mein Leben gern!« Sie lachte Hanna an. »Ich kann’s mir einfach nicht abgewöhnen!«
Hanna lächelte unwillkürlich. »Wenn das Ihr einziger Fehler ist...«
Lotta lachte noch lauter. »Das glaube ich nicht. Fragen Sie mal meinen Mann!« Sie hielt inne und hob die Brauen. »Übrigens — für ihn sind Sie gerade richtig gekommen.«
Als sie Hannas verständnislosen Blick bemerkte, fuhr sie launig fort: »Das können Sie nicht wissen. Aber ich bin immer wieder überrascht, was er sich jedes Jahr einfallen lässt, um auf meiner Geburtstagsparty zu erscheinen. Diesmal waren Sie der Vorwand.«
Hanna schaute sie von der Seite an. »Das scheint Ihnen zu gefallen. Wieso laden Sie ihn denn nicht einfach ein?«
Lotta zwinkerte ihr zu. »Das wäre zu einfach. Er soll sich ruhig ein bisschen Mühe geben.« Lächelnd hielt sie inne. »Ja, Sie haben Recht. Es gefällt mir. Es gefällt mir sogar sehr, wenn er sich Mühe geben muss.« Sie legte Hanna leicht die Hand auf den Rücken. »Jetzt lassen Sie uns mal rausgehen. Meine Gäste vermissen mich bestimmt schon. Kommen Sie.«
Neben der Eingangshalle befand sich ein kleiner Salon, von dem aus offene Flügeltüren ins Freie führten. Die Party war bereits in vollem Gange. Ungefähr vierzig Gäste jeden Alters hielten sich im Garten auf, verteilt in Grüppchen oder einzeln beim Büfett oder am Getränkestand.
Erik stand beim Büfett und musterte die Köstlichkeiten mit hungrigen Blicken. Besonders die köstlichen, mit Gewürzen eingelegten Heringe 7 stachen ihm ins Auge. Doch er wusste, was sich gehörte, und wollte nicht ohne seine Frau anfangen zu essen. Ungeduldig wartete er, dass Hanna endlich auf der Bildfläche erschien. Sein Magen gab mittlerweile Geräusche von sich, die bestimmt meterweit zu hören waren.
Drüben beim Getränkestand hatte er bereits vor einer Weile diesen Niclas Söderlind ausgemacht, Doktor Söderlind, wie er zwischenzeitlich von Jan Olsson erfahren hatte. Der Typ war Arzt. Früher hatte er wohl hier am Ort praktiziert, arbeitete aber mittlerweile in Stockholm bei irgendeiner Behörde.
Das Auftauchen des Mannes hatte bei ihm zunächst einen Anflug von Missmut ausgelöst, der sich aber wenig später gelegt hatte, als die große Brünette sich zu dem guten Doktor gesellt hatte. Die beiden waren ein nettes Paar und verstanden sich offenbar blendend. Die Frau hatte ihn sogar mit Fleischbällchen und Dillhäppchen gefüttert.
Erik schaute begehrlich zuerst zum Büfett und dann zum Haus, wild entschlossen, Hanna zu holen, wenn sie nicht innerhalb der nächsten dreißig Sekunden erschien.
Doch im nächsten Augenblick tauchte sie endlich auf. Gemeinsam mit der Eigentümerin
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