Sehnsuchtsland
schlafen, ich gehe noch ein paar Schritte.« Sie drückte sich hastig an ihm vorbei und schaute suchend im Zimmer herum. »Hast du meine blaue Jacke gesehen?«
Erik schüttelte den Kopf. »Soll ich dich begleiten?«
»Nein, nicht nötig. Ich will nur einmal kurz runter ans Wasser und dann wieder zurück. Bin gleich wieder da.« Die weiße Strickjacke tat es auch. Hanna streifte sie über und war schon auf dem Weg zur Tür, als Erik plötzlich ihren Namen sagte.
»Hanna?«
Sie fuhr erschrocken herum, absolut sicher, dass er sie nun fragen würde, was um Himmels willen sie eigentlich vorhatte.
Doch ihm gingen anscheinend ganz andere Gedanken im Kopf herum. »Wenn unser Leben so verlaufen wäre, wie wir es eigentlich geplant hatten — wo wären wir dann jetzt?« Er hatte leise gesprochen, mit seltsamer Eindringlichkeit.
Hanna erwiderte unverwandt seinen Blick. »Wir wären eine gut situierte Familie. Vater, Mutter, Kind.« Sie stockte und fuhr mit brüchiger Stimme fort: »In einer schönen Wohnung in Stockholm. Und wenn wir dann zwei Kinder hätten, irgendwann einmal, würde ich zu Hause arbeiten. Beide Kinder wären gute Schüler. Eines würde Klavier spielen, das andere Fußball. Am Wochenende würden wir ins Sommerhaus fahren. Schwimmen, lesen, Drachen steigen lassen...« Sie hielt inne und senkte den Kopf. »Ich weiß nur nicht, ob du damit so glücklich wärst.«
Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Hanna vermied es, in seine Richtung zu schauen, während sie mit raschen Schritten hinausging.
Erik hörte die Tür zufallen und schloss für einen Moment die Augen. »Ich weiß es doch auch nicht«, flüsterte er in die Stille des Zimmers.
*
Niclas hatte in aller Eile geduscht und sich umgezogen. Er hatte sich sogar die Zeit genommen, sich zu rasieren. Wenn es auch für jeden normal denkenden Menschen danach aussah, dass er ihr nur eine Jacke zurückbrachte, die sie vergessen hatte — für ihn war es viel mehr. Es war eine letzte Chance, die Dinge zu ändern. Außerdem, so dachte er trocken, war er kein normal denkender Mensch, sondern befand sich in einem absoluten Ausnahmezustand.
Er horchte kurz nach oben, als er den Autoschlüssel vom Tisch nahm. Nichts zu hören. Pelle schlief wie ein Baby.
Niclas legte sich sorgfältig die Jacke über den Arm und öffnete die Tür.
Und da war sie. Sie war zu ihm gekommen. Sie stand auf seiner Türschwelle und hatte bereits die Hand ausgestreckt, um zu klopfen. Beinahe wäre er in sie hineingerannt, so wie schon bei ihrer allerersten Begegnung.
Stumm schaute er sie an, einen Moment nur. Dieser eine Augenblick genügte. Er streckte die Arme aus, und sie kam hinein, als ob sie dort hingehörte. Der eiste Kuss war vorsichtig, tastend, doch diese sanfte Erprobung dauerte nicht länger als eine oder zwei Sekunden. Niclas sagte sich, dass er zärtlich zu ihr sein sollte, doch er konnte es nicht. Das Begehren, das sich in ihm angestaut hatte, brach sich Bahn und suchte ein Ventil. Doch Hanna wehrte ihn nicht ab und wich auch nicht zurück, sondern erwiderte seinen Kuss mit derselben Wildheit. Sie hielten inne, aber nur um Luft zu holen.
»Ich glaube, ich habe meine Jacke vergessen«, stammelte sie.
Niclas nickte nur und zog sie wieder an sich. Er bedeckte ihr Gesicht mit fieberhaften Küssen und murmelte ihren Namen, während sie sich an ihn drängte und über seinen Rücken strich. In ihren Augen stand ein dunkles, lockendes Leuchten, und als er ihre Hand nahm, um sie hinüber zum Sommerhäuschen zu ziehen, ging sie bereitwillig mit ihm.
*
Als er sie endlich in den Armen hielt, war es Niclas gleichgültig, ob ihr das Häuschen mit seiner spartanischen Einrichtung und den rohen Holzwänden vielleicht unzulänglich erschien. Das erste Mal liebten sie sich in fiebriger Hast, sie schafften es nicht einmal, sich vollständig auszuziehen. Nachdem ihr rasender Herzschlag sich beruhigt hatte, nahmen sie sich die Zeit, einander zu erforschen, sich zu streicheln, endlos lange und zärtlich zu küssen.
Für Hanna war es eine Offenbarung. Nach der Schwangerschaft hatte Erik ein- oder zweimal versucht, mit ihr zu schlafen, aber sie war jedes Mal zu Eis erstarrt, wenn er sich ihr auf diese Weise genähert hatte. Folglich hatte er es ziemlich schnell aufgegeben, und zu ihrer Erleichterung schien er deswegen auch nicht böse zu sein.
Mit Niclas war es anders. Allein ihn anzuschauen rief Begehren in ihr hervor. Wenn er sie berührte, war es, als hätte jemand eine Lunte an
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