Sehnsüchtig (German Edition)
„Kondom gerissen?“ / „Pille vergessen?“ / „Keine Verhütung“ – sie fragt sich einen Augenblick, ob sie lügen soll und „Kondom gerissen“ ankreuzen, aber der Fragebogen ist ja anonymisiert und sowieso hat sie es der Apothekerin schon gesagt. Sie fühlt den Blick der Frau auf sich, die hinter dem Tresen steht und so tut, als räume sie ihn auf. Sie beisst sich erneut auf die Lippe und kreuzt entschieden die Wahrheit an.
Eine weitere Frage: Nach der Uhrzeit des Geschlechtsverkehrs. Alys hält inne. Der Kugelschreiber zittert bedenklich in ihrer Hand. Das Gefühl in ihrem Bauch fühlt sich sauer an, ätzend, bereitet Schmerzen. Schuld. Sie fängt den Blick der Apothekerin auf und blickt hastig weg. Die Uhrzeit. Schau einfach auf die Uhr . Sie kramt nach dem Handy, ihre Armbanduhr liegt zuhause. Es ist 3 Uhr 10. Sie legt das Handy neben sich auf die Bank und schreibt 2 Uhr 15 auf den Fragebogen. Auf dem Display leuchtet eine gerade ankommende Nachricht auf.
Wo bist du? Zuhause nicht, da öffnet niemand & Licht brennt keins. Bitte ruf mich an oder heb ab. Ich werd wahnsinnig hier ...
Ich bin nicht zuhause, aber es ist alles in Ordnung, tippt sie in ihr Handy.
Sie füllt den Fragebogen fertig aus. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Das glaube ich dir nicht. Und du kannst nicht bei Mascha sein, weil sie im Urlaub ist, das hast du mir selbst erzählt. Sag mir wo du bist.
Ich kann dich jetzt nicht sehen , schreibt sie zurück.
Es war nicht deine Schuld. Wenn schon war es meine. Und ich will nicht, dass du alleine durch die Stadt irrst. Es ist kalt, mitten in der Nacht und gefährlich. Bitte lass mich wissen, wo du bist ... Lass uns darüber reden.
Sie ignoriert die Nachricht und steht auf, um der Apothekerin den Fragebogen zurückzugeben. Ihre Beine fühlen sich unsicher an. Die Apothekerin wirft einen raschen Blick darauf und runzelt die Stirn. Alys fragt sich, ob sie ihr Geburtsdatum gelesen hat. Ja, ich werde in drei Wochen 28 – und du denkst jetzt wahrscheinlich, dass ich zu alt bin um so unvernünftig zu sein ... Womit du recht hast.
Die Apothekerin dreht den Fragebogen in den Händen. „Wie Sie vielleicht wissen, kann ich Ihnen das Medikament nicht einfach so geben – ein persönliches Beratungsgespräch ist Pflicht.“
Alys nickt. Das ist peinlich, aber das überstehe ich jetzt auch noch. „Kommen Sie, wir können uns in mein Büro setzen. Ich höre ja die Ladenglocke, falls um diese Zeit noch ein Kunde kommen sollte.“ Sie macht eine Handbewegung, die wohl auffordernd oder einladend wirken soll und Alys folgt ihr hinter den Tresen und durch die Tür zwischen zwei Regalen.
*
Ihre Finger zittern immer noch ein wenig als sie den PIN ihrer Bankkarte in den Automat neben der Kasse tippt. Die „Pille danach“ ist ganz schön teuer, der hohe Preis soll verhindern, dass junge Mädchen nicht verhüten und zu oft darauf zurückgreifen.
„Bitte sehr.“ Die Apothekerin reicht ihr die Tüte mit dem Präparat und den Abschminktüchern. Im gleichen Moment vibriert ihr Handy wieder in der Tasche ihrer Jacke. Sie holt es mit der freien Hand heraus. Wieder eine Nachricht.
Ich komme dich jetzt suchen. Selbst wenn ich die ganze verdammte Stadt nach dir absuchen muss.
Oh nein, das wirst du nicht. Sie presst die Lippen zusammen und drückt auf ‚Anrufen’. Nach dem ersten Klingelton hebt er ab. „Alys, endlich ...“ Seine Stimme hört sich besorgt an. „Wag es nicht, dich ins Auto zu setzen. Du bist betrunken“, herrscht sie ihn an. „Glaub mir, nach all dem bin ich längst wieder nüchtern ...“
„Ich meine es ernst, Eliot“, faucht sie. Gleichzeitig füllen sich ihre Augen wieder mit Tränen. Scheisse.
„Ich bin mit dem Taxi vom Atelier zu dir gefahren. Also, mach dir keine Sorgen. Und jetzt bitte, sag mir wo du bist, damit ich ein Taxi rufen und dich abholen kann.“
„Du solltest nach Hause gehen ...“
„Ich werde jetzt bestimmt nicht nach Hause gehen. Dort ist niemand. Ich werde nicht alleine in der leeren Wohnung sitzen und wahnsinnig bei der Frage werden, wo du bist und wie es dir geht ...“
„Es geht mir gut“, würgt sie hervor, streicht sich mit dem Handrücken über die eine Wange, dann über die andere, die Tränen rollen bereits wieder.
„Du brauchst mich nicht anzulügen, ich kann hören, dass du weinst ...“
„Eliot ...“, bringt sie hervor. „Lass mich bitte einfach ...“
„Nein“, sagt er entschieden. „Alys, bitte“,
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