Sehnsüchtig (German Edition)
wiederholt er in diesem Tonfall, der sie noch schwächer und hilfloser macht. „Eliot ...“, bringt sie noch hervor. Wo bist du?“, fragt er ohne Umschweife und er entlockt ihr die zwei Worte, „im Hauptbahnhof.“
„Gut. Ich bin in spätestens 15 Minuten da. Wo bist du genau?“
„In der Bahnhofapotheke.“
Einen Moment herrscht Schweigen. Sie erwartet, dass er nachfragt. Sie kann sein Zögern hören, aber die Frage kommt nicht. „Bis gleich“, sagt er. Dann wird die Verbindung unterbrochen.
Sie sieht den Blick auf dem Gesicht der Apothekerin, eine Spur Neugier vielleicht, vielleicht auch immer noch etwas Besorgnis, vielleicht ist sie aber auch einfach müde – Alys ignoriert es. „Wenn Sie hier warten wollen bis Sie abgeholt werden, ist das kein Problem. Hier ist es wärmer und es hat weniger komische Gestalten als in der Bahnhofshalle.“ Ein kleines aufmunterndes Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. Plötzlich sieht sie irgendwie mütterlich aus.
„Vielen Dank, ich glaube, das mache ich wirklich.“ Alys setzt sich wieder auf die Bank mit dem grünen Polster, diesmal ohne Fragebogen in der Hand. Sie holt die eben gekauften Abschminktücher aus der Tüte, beseitigt endlich die schwarzen Schlieren unter ihren Augen und auf ihren Wangen. Sie rümpft die Nase und ihr Gesicht im spiegelnden Handydisplay tut es ihr gleich.
Um sich abzulenken bis Eliot kommt, tippt sie auf ihrem Handy herum, surft auf Facebook, studiert Statusmeldungen ihrer ‚Freunde’, ohne wirklich den Sinn der Buchstaben und Wörter zu erfassen. Beim Gedanken, dass Eliot auf dem Weg hierhin ist, bildet sich ein Klumpen in ihrem Bauch – der sich, so sehr sie es auch versucht, nicht ignorieren lässt. Er drückt, scheint immer schwerer zu wiegen.
Sie beantwortet die Nachricht von Mascha, die heute Abend irgendwann reingekommen ist, aus ihren Ferien in Südafrika.
Klingt perfekt , tippt sie in ihr Handy, ich bin ein bisschen neidisch, hier mischt sich Regen mit Schnee. Sonst ist alles im grünen Bereich, nichts Aussergewöhnliches ...
Was für eine Lüge . Gross, fett und brandschwarz. Sie kann es Mascha nicht sagen, wenn sie noch nicht einmal selbst weiss, wie sie damit umgehen soll – ob sie damit umgehen kann. Und wie es gleich sein wird, ihn zu sehen, nach allem, was heute Abend passiert ist. Sie kann den Sex immer noch spüren, bei jeder Bewegung ihres Unterleibs. Sie kann Mascha nicht sagen, was sie getan hat. Und mit wem. Und schon gar nicht per SMS. Da ist er wieder, der Knoten.
Im gleichen Moment hört sie Schritte. Eliots Blick trifft sie bis ins Mark. Er sieht blass aus und abgekämpft, das Haar als hätte er es sich zerrauft. Das schwarze Leder seiner Jacke ist voller Tropfen – es muss immer noch regnen draussen. Er bleibt unter der Tür zur Apotheke stehen und sie fühlt den Blick der Apothekerin in ihrem Rücken, ignoriert ihn aber. Hoffentlich erkennt sie ihn nicht. Alys steht auf, ihre Finger verkrampfen sich um die Henkel der Einkaufstüte. Sie geht auf ihn zu. „Alys“, sagt er als sie bei ihm ankommt. Ihr Name kommt gedehnt über seine Lippen. Er studiert ihr Gesicht, sein Duft findet sie und sie hält den Atem an. „Lass uns gehen“, bringt sie hervor, obwohl ihre Stimme ihr nicht recht gehorchen will. Er wirft einen Blick über ihre Schulter auf die Apothekerin, die immer noch am gleichen Ort steht und in ihre Richtung blickt. „Ja“, sagt er nur. Im gleichen Moment legt er seinen Arm um ihre Schulter und dirigiert sie Richtung Ausgang. Sie will ihn einen Moment lang abschütteln, ich sollte es , aber sie schafft es nicht.
Er steuert auf das erste Taxi in der Reihe zu, öffnet mit einer Hand die Tür hinter dem Beifahrersitz, schiebt sie mit der anderen hinein. Sie lässt sich in die schwarzen Lederpolster sinken. Der Taxifahrer beobachtet sie über den Rückspiegel aus dunklen Augen unter dichten Augenbrauen. Sie schliesst die Augen und lehnt den Kopf gegen die Polster. Sie spürt wie Eliot sich neben sie setzt, hört, wie die Tür ins Schloss fällt und wie er dem Taxifahrer eine Adresse nennt. Ihre Adresse. Sie dreht den Kopf weg, gegen das Fenster, öffnet die Augen wieder, konzentriert sich auf die Regentropfen, die über die Scheibe rollen und zu Schlieren werden. Sie spürt Eliots Blick auf ihrer Wange, aber sie ignoriert ihn. Eine einzelne Träne löst sich aus ihrem linken Auge und rollt über ihre Wange, wie die Regentropfen auf der Scheibe. Sie beisst sich auf die Unterlippe.
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