Sehnsüchtig (German Edition)
dunkelblaues Hemd angezogen. Er hatte nicht vor, sich für Wolf Kebel in Schale zu werfen. Schliesslich will Kebel den Rockmusiker Wagner verpflichten. Dem Bild entspreche ich ja. Das Aufstylen hat er Irina überlassen. Nicht ohne Stolz betrachtet er die Frau, die an seiner Hand durchs Restaurant schwebt, als würde sie jeden Tag hier speisen. Irinas Auftreten ist souverän. Sie kann sich jeder Situation anpassen. Und das kommt immer natürlich und nie aufgesetzt. So war sie schon mit knapp 18 als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er spielte auf einem kleinen Rockfestival. Eine damalige Freundin von ihr hatte sie mitgeschleppt. Die Freundin kannte er, sie stand immer wieder einmal in der ersten Reihe bei seinen Konzerten. Sie war eigentlich hübsch, hellblaue Augen, etwas zu blondiertes Haar, aber auf die Nimm-mich-Art , die ihn nie besonders angesprochen hatte. Sein damaliger Drummer fuhr voll auf sie ab. Ihre Art, Eliot anzumachen, war geradezu schamlos. Er war nie darauf eingegangen, hatte ihr immer andere Mädchen vorgezogen. Und dann, eines Tages, stand neben ihr ein Mädchen im Publikum, von dem er nicht mehr die Augen lassen konnte. Sie blickte mit klaren Augen zu ihm auf, tanzte, schaffte es sogar in Jeansrock, schwarzem T-Shirt und schlammbedeckten Gummistiefeln elegant auszusehen. Ihr Haar reichte ihr bis unter die Schultern und war irgendwo zwischen rot und blond. Er hielt sie mit seinem Blick fest und als er ihr endlich gegen Ende des Konzerts ein Lächeln entlocken konnte, flatterten rätselhafte Wesen in seinem Bauch. Kaum war der Auftritt vorbei, stürmte er übers Gelände um sie zu suchen. Er fand sie an der Bar und sprach sie unglaublich unkreativ an, aber sie lächelte nur und war einverstanden, sich einen Drink spendieren zu lassen. „Ich bin Eliot“, sagte er. „Irina“, erwiderte sie freundlich und blickte ruhig zu ihm auf. Das Zauberwesen hatte einen Namen. Irina.
Sie drückt seine Hand und scheint sich zu fragen, was er im Moment denkt. Zehn Jahre später ist das Haar kurz, das schwarze Kleid ebenso, und die Figur ist immer noch zart. „Du bist schön“, raunt er ihr zu. „Immer. Aber heute ganz besonders.“ Irina lächelt ihn an. „Danke“, wispert sie. Dann entdeckt er am hintersten Tisch ein Gesicht, das er aus verschiedenen Musikzeitschriften kennt. Er zaubert sein professionell-höfliches Lächeln hervor.
„Eliot Wagner! Endlich lernen wir uns kennen!“ Wolf Kebel klopft ihm gönnerhaft auf die Schulter. Der Labelboss ist Mitte 50, trägt einen grauen Anzug und ein blassrosa Hemd, das grauschwarze Haar nach hinten gegelt. „Meine Assistentin kennen Sie ja schon.“
Jennifer Bürli steht neben ihrem Chef. Sie trägt ein rotes Minikleid und dazu passende Pumps. Sie lächelt ihn an und Eliot fragt sich, ob sie sich nicht an die Episode an der Bar an Silvester erinnert. „Du bist ein verdammt schönes Ding, Jennifer. Aber ich dachte, es war überall zu lesen, dass ich vergeben bin. Und so ist es auch.“ Damals war er seinen Grundsätzen noch treu. Er war Irina treu. Das war vor Alys. Der Knoten im Magen drückt. Er versucht es zu ignorieren und lächelt Jennifer an, wie damals hinter der Bühne. Träge, maliziös. Heute verunsichert es sie nicht. Und falls sie sich an Silvester erinnert, lässt sie sich das nicht anmerken. Ihm kommt in den Sinn, was er damals zu Alys gesagt hatte. Auf jeden Fall ist Jennifer Bürli heute genau so langweilig schön wie damals. Oder schön langweilig. Was auch immer.
„Das ist meine Verlobte, Irina Agren.“ Irina reicht beiden die Hand, lächelt artig, macht Smalltalk. Freut mich sehr. Herzlichen Dank für die Einladung. Was für ein schönes Lokal. Kebel macht ihr ein paar Komplimente und Eliot sieht in Gedanken Schleim tropfen. Sowieso sieht er Irina an als wäre sie die Vorspeise. Sie setzen sich, Kebel redet ohne Punkt und Komma und bestellt demonstrativ den teuersten Wein auf der Karte. Eliot legt seinen Arm um Irinas Schulter und lässt sie erst los als das Essen serviert wird. Er nickt, nippt am Wein, nickt wieder.
Zwischen Hauptgang und Dessert, gerade als Wolf Kebel aufs Geschäftliche zu sprechen kommen möchte, flieht Eliot auf eine Zigarette nach draussen. Er holt sein Handy hervor. Alys hat zurückgeschrieben.
Alles OK bei mir. Ist er wirklich so schlimm? Du fehlst mir auch.
*
Ihr Handy piepst. Sie speichert die Illustration ab und greift danach.
Er ist wirklich so schlimm, Zuckerpuppe. Bis
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