Sehnsüchtig (German Edition)
morgen!
*
„Was ist?“, fragt Alys. Sie kennt den Ausdruck auf Maschas Gesicht. Die kritisch hochgezogene Augenbraue. „Du willst das wirklich anziehen?“ Alys blickt an sich herunter. Wie sie oft hat sie sich ganz schwarz gekleidet, die Röhrenjeans und das Oberteil. Es ist schlicht, nur ein bisschen Spitze am Ausschnitt, er ist nicht tief.
„Ja, das hab ich vor.“
„Du siehst aus wie eine Grundschullehrerin oder eine Bibliothekarin“, moniert Mascha.
„Eliot ist Bibliothekar.“ Alys verzieht den Mund zu einem vagen Lächeln. Eigentlich ist ihr nicht zum Lächeln zumute. Und eigentlich ist ihr auch nicht danach, ins „Secret“ zu gehen und Irina zu begegnen. Aber die Sehnsucht nach Eliot und der Wunsch, ihn zu sehen, haben obsiegt. Ich gehe hin. Ausserdem hat er geschrieben, sie solle kommen. Und Mascha hätte sie sowieso hingeschleppt. Notfalls mit Gewalt.
„Ich weiss, dass er in grauer Vorzeit mal Bibliothekar war“, hält Mascha fest. „Gleich sagst du mir noch, dass du deine unsägliche Nerdbrille anziehst.“ Alys schüttelt den Kopf. „Linsen. Und Bibliothekarinnen laufen nicht so herum.“ Sie dreht Mascha den Rücken zu, der Stoff am Rücken ist transparent.
„Na, wenigstens da sieht man ein bisschen Haut. Trotzdem: Wie wär’s mit einem Kleid? Das ist immerhin eine Party mit rotem Teppich.“
„Ich habe keine Lust, mich aufzubretzeln, Mascha! Das ist Irinas Abend. Es ist schon so schwierig für mich, dahin zu gehen. Und ich habe keine Lust, mit ihr zu konkurrieren. Es käme mir wie Verrat vor, da im knappen Kleidchen durch die Gegend zu schweben. Ausserdem ist es die Party eines Rockmagazins – da wird es jede Menge Leute in Jeans haben.“ Mascha schüttelt den Kopf. „Manchmal weiss ich nicht, was in dir vorgeht. Jede andere Frau hätte sich in ihr heissestes Kleid geschmissen.“
„Ich bin aber nicht jede andere Frau“, sagt Alys in einem Tonfall, der klarmacht, dass damit das Thema beendet ist. „Schön“, stösst Mascha hervor. „Ziehst du wenigstens High Heels an, bitte? Deine roten Pumps zum Beispiel, und die kleine rote Tasche? All das Schwarz ist deprimierend ...“
„OK“, macht Alys. „Die ganze Situation ist deprimierend“, fügt sie hinzu. Maschas Gesicht wird weich und sie greift nach Alys’ Ellbogen. „Ich weiss, Schnecke. Niemand hat gesagt, dass der Abend einfach wird für dich. Aber ich bin für dich da.“ Alys lächelt, obwohl im Bauch bereits Angst grummelt. Dabei sind wir noch nicht mal in den Bus gestiegen. „Ich weiss und ich bin froh darum.“ Sie hält sich einen Augenblick an Mascha fest.
*
Frederic lässt untypischerweise auf sich warten. Alys bemerkt, wie Mascha ungeduldig mit der roten Sohle ihrer Louboutins gegen den Asphalt klopft. Dann erinnert sie sich daran, gelesen zu haben, dass sich der Erfinder von Maschas sündhaft teurer Lieblingsschuhmarke mit dem Modehaus Yves Saint Laurent streitet, weil dieses seine berühmte rote Sohle kopiert haben soll.
„Wo ist er denn?“, faucht Mascha und wirft einen Blick die Strasse entlang. Wenn Frederic noch länger braucht, werden ihn Maschas Blicke erdolchen. Alys zurrt den Gürtel ihres Mantels enger um ihre Taille. Es ist kalt. Das Geschehen vor dem Secret ist interessant, aber Mascha hat gerade kein Auge dafür.
Eine Kordel trennt den roten Teppich vom Bereich, wo das gemeine Gästelistenvolk Schlange steht. Die Gewinner vom Leserwettbewerb des „Rock’n’Roll-Star“, Freunde und Familien der Redaktion und andere Gäste. Zwei Frauen Anfang 20, beide in zu kurzen Miniglitzerkleidern und mit einer dicken Schicht Farbe auf dem Gesicht, linsen zu Mascha und Alys hinüber. Sie beäugen Maschas Schuhe und Alys sieht Gier in den Augen der dunkelhaarigen Frau. Sie sieht aus als hätte sie Hunger Dann erblickt die Frau Alys. Im gleichen Moment stösst sie ihrer kleineren, etwas pummligen Kollegin den Ellbogen in die Seite. „Ist das nicht das Chick aus der Fotostrecke mit Eliot Wagner?“, fragt sie, nicht leise genug um taktvoll zu sein. Alys blickt weg und fühlt ihre Wangen warm werden. Mascha grinst. „Du bist berühmt“, wispert sie.
„Boah, in Natura ist die aber ganz schön unscheinbar, und auf den Fotos sah sie dünner aus“, äzt die Dunkelhaarige. Alys hebt eine Augenbraue und wirft der Lästertante einen Blick zu, kalt wie diese Winternacht. Soll sie doch wissen, dass sie alles gehört hat. Maschas Gesicht verfinstert sich und sie macht sich grösser. Alys
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