Sehnsüchtig (German Edition)
selbst. Sie telefoniert regelmässig mit Celia. Wenn sie heiraten werden, wird sich das Klischee von der schwierigen Schwiegermutter für Irina nicht bewahrheiten. Sie hat das bessere Verhältnis zu seiner Mutter als er selbst.
Eigentlich sollte heute Abend der Bass eingespielt werden. Aber in Anbetracht des gestressten Untertons in Irinas Stimme beschliesst er, lieber nichts davon zu sagen. In letzter Zeit waren sie und Lilli oft zu kurz gekommen. Und bis das Album fertig ist, wird es in diesem Stil weitergehen. Er verdrängt den Gedanken an die Tour, die nach dem Erscheinen des Albums folgen soll. Der Durchbruch war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt gekommen, eigentlich, mit einer damals vier Monate alten Tochter zuhause. Aber Erfolge lassen sich nicht planen und er hat zu lange darauf gewartet, um jetzt nicht das Beste daraus zu machen – und dabei zu versuchen, die Musik und die Familie unter einen Hut zu bekommen. Ein Balanceakt, aber das wird schon gut gehen. Andere Musiker haben auch eine Familie zuhause.
„Dann renn ich mal los, in einer halben Stunde schliesst die Krippe“, sagt Eliot.
„Der Kinderwagen steht im Eingang. Bis später ...“
„Bis später, viel Spass!“, sagt er, aber sie hat schon aufgelegt. Irina hat in letzter Zeit nur selten gearbeitet, öfters hat sie Aufträge ablehnen müssen wegen Lilli und weil er keine Zeit gehabt hatte. Die mangelnde Routine macht sie nervös, dabei muss sie das gar nicht sein, sie hat einen guten Ruf als selbstständige Stylistin, einen treuen Kreis an Stammkunden und sowieso ist sie die Beste da draussen, auf jeden Fall seiner Meinung nach.
Etwas pickt nach ihm, es fühlt sich verdächtig nach schlechtem Gewissen an, aber er verdrängt es rasch, greift nach der Lederjacke und dem Schlüsselbund. Er schliesst die Ateliertür ab und nimmt auf dem Weg nach unten zwei Stufen auf einmal. Gleichzeitig öffnet er die Favoriten-Liste auf seinem Handy und drückt auf einen Namen. Nach dem fünften Klingeln hebt sie ab.
„Rockstar!“ Sie klingt fast so verschlafen wie er vorhin.
„Hab ich dich geweckt?“
„Nein“, lügt sie.
„Du lügst“, hält er fest. Ihr raues Lachen, das ihm so vertraut ist, schallt durch die Leitung. Es klingt nach Zigaretten, gutem Whiskey und nach einer viel älteren Frau als der 30-jährigen, die sie ist.
„Schön, du hast mich ertappt, der Gig mit ‚Manor on a Hill’ gestern ging ziemlich lange. Danach hat uns Noah noch eingeladen ...“ Noah ist der Frontmann von ‚Manor on a Hill’, er hat schon lange ein Auge auf Marlen geworfen ...
„Stimmt, du betrügst mich ja ...“ Wieder lacht sie. „Soviel ich weiss, hab ich dich gefragt, ob ich ein paar Konzerte mit ihnen spielen darf und du hast ‚Ja’ gesagt. Aber du weisst, dass du immer meine Nummer 1 bleiben wirst, vor allem jetzt, wo das grosse Geld da ist, wo Eliot Wagner ist.“
„Wenn du mir weiterhin so frech kommst, könnte ich mich nach einer anderen Bassistin umsehen“, sagt er und stösst mit Schwung die Eingangstür auf. „Das würdest du nicht wagen, Rockstar“, sagt sie und klingt ziemlich überzeugt.
Er lacht und kramt mit der freien Hand in der Jackentasche nach der Zigarettenschachtel. „Vermutlich nicht, vor allem weil ich nicht will, dass ‚Manor on a Hill’ dich in die Finger bekommt, vollständig, meine ich ... Aber sag mal, hat dich Noah endlich abgeschleppt?“
„Noah? Abschleppen? Mich?“
„Komm schon Marlen, er hat dich nicht nur engagiert, weil du eine verdammt gute Bassistin bist.“ Wieder lacht sie. „Vielleicht“, sagt sie dann, „aber ich war gestern viel zu müde, und Noah ist sowieso mit diesem Model zusammen, die du in letzter Zeit überall in der Stadt sehen kannst ...“
„Überall in der Stadt?“ Er steckt sich im Weiterlaufen eine Zigarette zwischen die Lippen. „Du weisst schon, die Unterwäschewerbung ...“ Sie nennt den Namen einer bekannten Warenhauskette, während er das Feuerzeug klicken lässt.
„Ach, die? Schwarzhaarig? Grosse ... grosse Augen?“
„Genau die.“
„Schöne Frau“, hält er fest. „Aber ich glaube trotzdem nicht, dass sich Noah geziert hätte, wenn du nur gewollt hättest ...“
„Nicht jeder hat deine hohen moralischen Standards, Rockstar. „Musiker“ und „treu“, das verträgt sich im Normalfall nicht ...“
„Es soll Ausnahmen geben ...“
„Ja, und Irina kann sich glücklich schätzen! Wie geht es ihr überhaupt?“
„Darum ruf ich eigentlich an, sie hat
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