Sehnsüchtig (German Edition)
letzten paar Stufen hoch und klopft an die Tür. Im Atelier ist es jetzt still. Nur ihr Klopfen hallt im Flur wider. Eine Weile geschieht gar nichts. Sie klopft erneut. Diesmal lauter. „Einen Moment“. Dann nähern sich Schritte der Tür und er öffnet sie, oder reisst sie vielmehr auf. Einen Augenblick lang schauen sie sich an. Sein Haar ist wirr, als hätte er es zerrauft; hat er wahrscheinlich sogar. In den sonst warmen braunen Augen flackert Ärger, obwohl er offensichtlich versucht, seine Miene unter Kontrolle zu haben. Der Kiefer ist angespannt und verrät ihn ebenfalls.
„Hallo“, sagt sie vorsichtig.
„Hallo“, erwidert er. Freundlich klingt anders. „Komm rein“, fügt er hinzu. Seine Stimme klingt jetzt gepresst, mühsam beherrscht.
Sie zögert unter dem Türrahmen, unbewusst, aber er nimmt es wahr. Er streckt eine Hand aus, eine kleine Bewegung, die irgendwie hilflos wirkt. „Komm, gib mir deine Jacke.“ Sie macht endlich den Schritt über die Türschwelle, schält sich aus der Lederjacke und drückt sie ihm in die Hand, ohne ihn richtig anzusehen dabei. Du bist ein Feigling, sagt eine Stimme in ihrem Kopf. Die ganze Situation ist unangenehm. Die Luft im Atelier scheint immer noch zu flirren, als läge der Streit darin und lade sie elektrisch auf. Und obwohl Alys mit dem Ganzen nichts zu tun hat, setzt es ihr zu. Sie war schon immer sensibel für zwischenmenschliche und emotionale Schwingungen gewesen, überempfindlich vielleicht. Deshalb hasst sie Streit und Unfrieden jeder Art.
Als Kind konnte sie aus ihrem Zimmer kommen und spürte sofort, wenn sich ihre Eltern einen Stock weiter unten gestritten hatten, ohne irgendeinen Laut davon mitbekommen zu haben. Es lag in der Luft – und sie fühlte es. Es zog ihr Inneres zusammen, machte ihr das Atmen schwer. Genau wie jetzt.
Eliot betrachtet sie einen Augenblick, als würde er es merken. Sie lässt ihren Blick durch das Atelier schweifen. Draussen scheint die Sonne, unbeeindruckt von der Situation, sie lässt das Kupferdach der nahen Kathedrale glänzen. Alys’ Blick fällt auf die Scherben auf dem Teppich neben dem Gitarrenständer. Grüne Scherben, die gleiche Farbe wie die Kaffeetasse letztes Mal.
Er registriert ihren Blick, dreht sich weg und hängt ihre Jacke an den Kleiderständer neben der Tür. Selbst sein Rücken unter dem dunkelblauen Hemd sieht abweisend aus. „Setz dich, ich mach Kaffee“, sagt er und marschiert in den Nebenraum. „Mit Milch, ohne Zucker“, sagt er, halb zu sich, halb zu ihr. Er hat es sich gemerkt. Der Knoten im Bauch löst sich etwas. Sie setzt sich auf den gleichen Stuhl wie letztes Mal und holt iPad, Notizblock, Agenda und Schreibzeug hervor. Sie kann hören, wie er im Nebenzimmer die Kaffeemaschine malträtiert. Noch ist die Wut nicht verflogen, offensichtlich.
Er kommt wieder zurück, stellt ihr die Kaffeetasse hin, sie klirrt protestierend. „Danke“, sagt sie leise. Er setzt sich, lehnt sich im Stuhl zurück, schliesst die Augen und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Sie rührt währenddessen eifrig in ihrem Kaffee. Er öffnet die Augen wieder. „Sorry für den unfreundlichen Empfang!“
Sie blickt auf. Ihre Blicke treffen sich. Er sieht etwas unsicher aus. Ausgerechnet der selbstsichere Eliot Wagner. „Das macht nichts.“
„Es hat nichts mit dir zu tun ... oder mit dem Auftrag“, hält er fest. „OK“, sagt sie, weil ihr nicht anderes einfällt. „Es macht nichts“, wiederholt sie dann.
Er steht wieder auf, zerrt an seinem Hemd. „Ich komm gleich wieder, ich brauch nur eine Zigarette und etwas frische Luft ...“ Es klingt entschuldigend. „Sicher.“ Er geht zum Kleiderständer und kramt in der Tasche seines Blazers. Offensichtlich findet er nicht, wonach er sucht. Irgendein Laut folgt, der wie ein unterdrückter Fluch klingt.
„Eliot“, sagt sie leise. Er dreht sich zu ihr um. Sie nimmt ihre Zigarettenschachtel und das Feuerzeug aus der Tasche und ist mit zwei Schritten bei ihm. Drückt ihm beides in die Hand. Sein Blick trifft ihren und auf einmal ist das Gefühl vom Konzert wieder da. Rasch macht sie einen Schritt rückwärts. „Vielen Dank“, sagt er. Diesmal klingt es ruhig. Sie nickt nur. „Bis gleich“. Er verschwindet durch die Tür, sie hört ihn die Treppe hinabeilen.
Im gleichen Moment klingelt sein Handy auf dem Tisch. Sie kennt das Gitarrenriff. ‚ Gimme Stitches’ von den Foo Fighters. Ein Bild und ein Name flammen auf dem Display auf. Alys will
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