Sehnsüchtig (German Edition)
aber hauptsächlich taugen seine Reifen auf verschneiten und vereisten Strassen überhaupt nichts ... Er könnte ja auch ihren Peugeot nehmen, meistens jedenfalls. Aber er lacht nur, „Es ist erst Anfang Dezember, es schneit doch noch gar nicht, Liebling ...“
Die Wirkung der Schmerztablette hat längst nachgelassen. Sie schiebt sich in eine andere Position auf dem Sofa und verzieht das Gesicht. Drückt die Wärmeflasche stärker gegen den Rücken und zieht die Wolldecke über sich. Ihre Finger greifen nach der Schmerzmittelpackung auf dem Couchtisch. Sie drückt eine Tablette heraus, gutes weisses Helferchen , und spült sie mit einem Schluck Wasser hinunter. Nimmt darauf einen Schluck Weisswein, um den medizinischen Geschmack auf der Zunge loszuwerden. Wein und Schmerztabletten, eine tolle Kombination, wirklich.
Was soll’s. Dämliche Rückenschmerzen. Scheiss PMS. Sie ist eine der Frauen, die unter dem Prämenstruellen Syndrom mehr leiden als unter der eigentlichen Mens. Sie nimmt seit Lilli zwar wieder die Pille, aber das hilft auch nicht wirklich. Also plagen sie einmal im Monat Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, oder besser noch, beides zusammen, wie heute, und sie fühlt sich unwohl und niedergeschlagen. Zum Heulen.
Sie blickt zu Lilli, die sich am CD-Regal hochgezogen hat und sich einen Spass daraus macht, die alphabetisch eingeordnete, heissgeliebte CD-Sammlung ihres Papas aus dem Regal zu ziehen und auf dem Teppich zu verteilen. Eliot mag es nicht, aber sie hat nicht mehr die Energie, Lilli mit etwas anderem zu beschäftigen zu versuchen. Sie zahnt heute und erst gegen Abend ist es besser geworden. Ihre Wangen sind zwar rot und etwas heiss, aber wenigstens ist sie jetzt zufrieden. Sie war den ganzen Tag über unüblich unleidig gewesen, etwa so unleidig wie Irina selbst.
Das Wohnzimmer sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Eine gigantische Tischbombe voller Spielzeug. Sie fragt sich einmal mehr, wie andere Mütter das machen. Jene, die sie kennt und die kleine, spielwütige Kinder haben, schaffen es irgendwie, das Wohnzimmer wie in einem Möbelkatalog aussehen zu lassen: sauber, aufgeräumt und irgendwie steril. Nicht, dass viele ihrer Bekannten schon Kinder hätten, eigentlich ist sie so ziemlich die Einzige, die anderen sind noch in der Phase, die aus viel Arbeiten, viel Reisen, häufigen Partnerwechseln und heftigen Partys besteht.
Sie schaut ihrer Tochter mit einer Mischung aus Stolz und Melancholie bei ihrem Werk zu und hört Paolo Nutini zu, den sie immer hört an Tagen und Abenden wie diesem. Eben läuft ‚Candy’, neben ‚Rewind’ ihr absolutes Lieblingsstück. Sie wiegt sich ein wenig im Takt der Musik, then I float to you, my darling, just give me some candy ...
Sie hört, wie Eliot die Tür hinter sich schliesst. Endlich, denkt Irina müde. Endlich. Gleichzeitig denkt sie an die Konfrontation, die unausweichlich bevor steht. Nach dem Telefonat heute Nachmittag kann und will sie nicht einfach auf Friede, Freude, Eierkuchen umschalten. Das muss geklärt werden . Sie hat sich den Satz schon bereit gelegt. „Wir müssen reden, Eli.“ Das zweite Glas für ihn steht neben der Weinflasche bereit.
Sie kann sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal so gestritten haben wie heute am Telefon. Er hat sie angeschrien. Sie hat zwar nicht zurück geschrien, aber ist auch laut geworden, für ihre Verhältnisse auf jeden Fall. Sie schreit nicht. Nie. Ihre Stimme wird einfach lauter, erst kühl und dann ganz kalt. Oder dann weint sie und findet keine Worte mehr. Sie hasst Streit. Aber manchmal geht es nicht anders, und heute war eine blöde Kombination gewesen: sie übellaunig und mit Schmerzen, er abgelenkt und gestresst wie immer in letzter Zeit. Es wird Zeit, dass dieses Album fertig wird.
„Hallo“, hört sie seine Stimme im Flur. Er klingt gut gelaunt. Sag jetzt nicht, dass du es schon vergessen hast?
„Dada“, stellt Lilli begeistert fest und lässt sich auf ihr durch die Windel gut gepolstertes Hinterteil plumpsen. Sie schiebt zwei CDs beiseite und krabbelt Richtung Tür. Ihre Wangen glühen, vom Zahnen oder vielleicht auch vor Freude darüber, dass ihr Vater nach Hause gekommen ist.
„Maus?“
„Dada“, macht sie lauter und krabbelt schneller. Wie jedes Mal ist das Schauspiel irgendwie rührend. „Da ist sie ja ...“. Eliot erscheint im Türrahmen und hebt sie hoch, stemmt sie über seinen Kopf und lacht sie an. Lilli strahlt auf ihn herab.
Er küsst ihre
Weitere Kostenlose Bücher