Sehnsüchtig (German Edition)
weniger gut, sich den dunkelhaarigen Mann auf ihrem Sofa auch nur einen Moment in dieser Rolle vorzustellen. Der Mann, der sie jetzt gespannt betrachtet als frage er sich, was sie denkt ...
*
Er fragt sich einmal mehr, was sie denkt. Sie sieht irgendwie nachdenklich aus. Und doch kann er wie immer nicht richtig in diesem Gesicht lesen. Die Augen sind jetzt auf jeden Fall nicht ängstlich. Im gleichen Moment dreht sie ihren Kopf ein wenig weg und nimmt noch einen Schluck Gin Tonic.
Der Stoff ihres Shirts rutscht über ihre Schulter und lässt ein Stück blasse Haut sehen. Da fällt ihm etwas ein. „Hast du dein Tattoo eigentlich selbst gezeichnet?“
*
Was? Alys dreht den Kopf und blickt ihn an. „Woher weisst du, dass ich ein Tattoo habe?“ Sie hört das Erstaunen in ihrer eigenen Stimme. Woher zur Hölle weisst du das ...
Er grinst – offenbar amüsiert ab ihrer Reaktion. Sie fühlt ihre Wangen warm werden. Sein Name liegt ihr auf der Zunge, bereit, ungeduldig ausgesprochen zu werden, ihn aufzufordern, endlich weiterzureden ... Wie sie es mit Janosch gemacht hätte, und wie sie es bei ihm nicht macht. Er ist ihr Kunde. Kein Freund, auch wenn es sich immer mehr danach anfühlt – wären die Flatterviecher im Bauch nicht ... Endlich hat er vor, sie zu erlösen: „Ich habe es auf einem von Irinas Polaroids gesehen.“ Er grinst immer noch. Ach so, denkt sie. „Ach so“, sagt sie. Dann fällt ihr seine Frage wieder ein. „Ja, ich habe es selbst gezeichnet.“
„Was bedeutet sie?“, fragt er. „Ist sie eine Fee oder ein Engel?“
„Sie ist eine Elfe. Ich hab’s nicht so mit Engeln, ich bin nicht gläubig. Ich weiss nicht, ich fand sie einfach schön. Ich habe als Teenager all diese Fantasy-Romane verschlungen. Ich denke, sie beschützt mich oder soll auf mich aufpassen. Eine Art Schutzengel, wenn du so willst, aber eben eine Elfe ...“
Er nickt. „Darf ich mal sehen?“
Sie schafft es, ihr Gesicht unter Kontrolle zu behalten. Hebt nur eine Augenbraue. Ihr Herzschlag widerhallt plötzlich irgendwo in ihrem Hals, laut und deutlich. „Du hast doch das Foto gesehen ...“, sagt sie dann. Er blickt sie unverwandt an, überhaupt nicht seltsam berührt, anscheinend. „Du weisst doch selbst wie klein und überbelichtet Polaroids sind.“ Einen Augenblick messen sich ihre Blicke und ihr kommt der Moment in den Sinn, als er sie zu dem Fotoshooting überreden wollte. Wie sie zögerte und er es doch schaffte, sie zu überzeugen, mit dieser Mischung aus Charme, bittendem Blick und sanftem Druck. Dieser überaus wirksamen Mischung.
Unter diesem Blick schmilzt ihr Wille dahin wie Eis in der Frühlingssonne. Trotzdem zögert sie. „Findest du es unpassend?“, will er jetzt wissen.
Ja, liegt ihr auf der Zunge, aber ihr verräterischer Mund macht ein „Ich weiss nicht“ daraus. Er lächelt versonnen. „Es ist ja keine besonders intime Stelle und ich werde es am Shooting sowieso sehen ...“
„Ja, da wirst du wahrscheinlich ...“
Er sagt nichts mehr, aber blickt sie immer noch an. Sie schlägt die Augen nieder und stellt ihr Glas zurück auf den Tisch. Dann rutscht sie auf dem Sofa rückwärts, ihm den Rücken zugewandt. Sie fühlt seinen Atem auf ihrem Nacken. „Es ist rechts“, sagt sie und hört, dass ihre Stimme rau klingt. „Ich weiss“, sagt er leise. Dann finden seine Finger den violetten Stoff auf ihrer Schulter, streifen ihn darüber hinab. Sie dreht den Kopf so weit sie kann und sieht aus dem Augenwinkel, wie er das Tattoo etwas oberhalb des Schulterblatts betrachtet, aber den genauen Ausdruck auf seinem Gesicht kann sie nicht erkennen. Die Elfe ist nicht gross, nicht einmal so gross wie ihre Handfläche.
Dann sind seine Finger auf ihrer Haut. Zeichnen die Konturen der Elfe nach, zart die Berührung, seine Fingerkuppen etwas rau, sie kann winzige Schwielen fühlen. Von den Gitarrensaiten? Etwas ist seltsam im Bauch, wie eine verknotete Perlenkette, die reisst. Die Perlen stürzen und kullern durcheinander …
„Sie ist sehr schön“, hört sie ihn dann sagen, klingt seine Stimme etwas rauer als sonst oder bilde ich mir das nur ein? Er zieht den Stoff wieder über ihre Schulter, lehnt sich zurück in die Polster. „Danke”, murmelt sie. „Ich komme gleich wieder”, fügt sie hinzu und steht auf. Ihre Beine fühlen sich wackelig an. Sie geht ins Badezimmer und es fühlt sich an, als würde sie fliehen. Ihr Hals ist trocken. Der Gin? Sie dreht den Wasserhahn auf
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