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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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auch ihr eigenes Gemüse und die Beerensträucher im Garten sind eine von Alys’ liebsten Kindheitserinnerungen. Erde unter den nackten Füssen, der Mund voller Beeren. Einmal mehr wünscht sie den Winter zum Teufel.
    Auch das Bild, das sie in der Küche vorfindet, ist vertraut. Ihr Vater sitzt am Küchentisch, vertieft in die Zeitung. Neben ihm dampft eine Kaffeetasse, er ist mindestens so süchtig danach wie sie selbst. “Hallo Papa”, sagt sie unter der Küchentür. Er blickt auf und die dunkelblauen Augen – meine Augen – leuchten auf. “Da ist ja die verlorene Tochter.“ Er steht auf und umarmt Alys. Georg Allenbach riecht wie immer, ein Duft wie eine Kindheitserinnerung. Entwicklerflüssigkeiten (er fotografiert am liebsten analog), Rasierwasser, Kaffee, Zigaretten. Er raucht immer noch. Nicht mehr so viel wie früher, aber ihre Mutter weiss, dass sie ihn nie ganz davon wird abbringen können.
    Er streicht sich das Haar nach hinten, das für einen Mann in seinem Alter erstaunlich dunkel ist. „Wie gehts?“, will er wissen. „Super“, sagt Alys. „Du siehst aus, als könntest du etwas mehr Schlaf vertrage“, sagt er und mustert sie. „Vielleicht“, meint sie vage. „Arbeitest wieder bis zum Umfallen, hmm?“Alys lächelt. Er lächelt zurück und setzt sich wieder hin. Alys platziert sich neben ihn und greift nach dem hinteren Teil der Zeitung. Bald sind Vater und Tochter in die Zeitung vertieft, einträchtig nebeneinander.
     
    *
     
    Eliot öffnet das Küchenfenster einen Spalt und stellt den Aschenbecher auf den Fenstersims. Es ist einfach zu kalt, um nach draussen zu gehen. Er zündet sich die Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug und mustert den Garten seiner Eltern. Der Swimmingpool ist zugedeckt. Schnee liegt auf der Plane. Schnee liegt auch auf den kitschigen Figuren neben dem Pool, für die seine Mutter eine unerträgliche Vorliebe hat. Jeden Sommer schleppt sie eine neue davon aus dem nahen Gartencenter an und zwingt seinen Vater, sie umständlich in den Kofferraum seines Mercedes-Kombis zu verladen und dann im Garten unter genauen Anweisungen aufzustellen. Die Figuren sind Imitate antiker griechischer Statuen. Ein tanzendes Mädchen in der Bewegung erstarrt, ein muskulöser Jüngling mit Lorbeerenkranz im Haar, Poseidon mit Wallebart und Dreizack. Furchtbar, konstatiert Eliot einmal mehr und fragt sich, ob die Figuren wohl frieren. Auf dem nackten Busen einer Göttin hat sich etwas Schnee angesammelt.
    Absätze klappern über die Fliesen, weiss und blank wie immer. Seine Mutter trägt sogar zuhause hohe Schuhe. Eliot dreht sich langsam um. Sie wirft einen missbilligenden Blick auf die Zigarette in seiner Hand, obwohl die Hand draussen auf dem Fenstersims liegt. Er beschliesst, den Blick zu ignorieren. Wie jedesmal . „Wer gewinnt?“, will er wissen. „Im Moment liegt dein Vater vorne, aber ich würde Irina noch nicht aufgeben.“ Schach. Er hatte nie etwas mit dem Spiel anfangen können. Bei jedem Besuch holt Samuel Wagner das Schachbrett hervor, froh in seiner künftigen Schwiegertochter eine würdige Gegnerin gefunden zu haben.
    Seine Mutter blickt zu ihm auf und er weiss, dass sie gleich ein persönliches Thema anschneiden wird. Er kennt diesen Blick aus den dunkelbraunen Augen. Celia Wagner-Fischer (auf den Doppelnamen hatte sie immer Wert gelegt) wird mit 69 immer noch als schöne Frau bezeichnet. Das ist sie auch. Fast 1.75 gross, schlank, stets elegant gekleidet. Man sagt, er sähe aus wie seine Mutter – bis auf die Nase. Die Nase ist typisch Wagner.
    Schöne Hülle, harter Kern. Die Mitarbeiter in der Kanzlei nannten Frau Dr. jur. C. Fischer-Wagner, jetzt pensioniert, ‚die eiserne Lady’ in Anlehnung als Margaret Thatcher. „Was ist mit Irina und dir?“, will sie jetzt wissen. Menschenkenntnis. Noch eine Eigenschaft, die ihr als Anwältin nützlich war.
    „Was meinst du?“, meint er und nimmt noch einen Zug. Er hasst es, mit seiner Mutter über seine Beziehung zu sprechen. Eigentlich weiss sie das genau.
    Sie presst die rot geschminkten Lippen zusammen wie immer wenn sie ungeduldig ist. „Meinst du wirklich, ich merke nicht, dass etwas nicht stimmt?“ Natürlich merkst du das. Ich will trotzdem nicht mit dir darüber reden. Das Verhältnis zu seiner Mutter war nie einfach gewesen. Zu den Eltern an sich. Sie hatten sich spät kennen gelernt, spät geheiratet, darum auch nur noch ihn bekommen. Celia war fast 37 gewesen. Sein Vater 40. Beide Karrieremenschen, für die

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