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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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Worauf er erwiderte: »Du kommst auf alle Fälle dran, Genossin Wolf!« Dann ging ich auf meinen Platz und begann, mir ein paar Notizen zu machen. Aber das »Du kommst auf alle Fälle dran« bedeutete, der Redner sprach noch zu Ende, und sogleich wurde ich aufgerufen, obwohl ich ganz unten auf der Rednerliste stand. Wäre ich gründlicher vorbereitet gewesen, wäre alles logischer und besser gewesen. Aber es hat doch gereicht, dass sich alle sehr aufregten … Ich fing damit an, dass der Schriftstellerverband kein Pet ő fi-Club sei und dass man auf keinen Fall diesen Ausdruck stehenlassen könne. Diesen Satz haben sie später aus allen Protokollen gestrichen, sogar aus dem Protokoll, das ich als Kandidatin des ZK zugeschickt bekam. Auch aus der Rede von Paul Fröhlich war er raus. Erst nach dem Mauerfall habe ich das vollständige Protokoll bekommen, und da stand er wieder drin. Sonst hätte ich das gar nicht beweisen können. Dann redete ich allgemein und verteidigte auch Werner Bräunig. Es gab viele Zwischenrufe, besonders von Margot Honecker. Ulbricht sagte: »Lasst sie doch reden.« Die riefen: »Christa, hilf uns doch, anstatt gegen uns zu sein.« Ich sagte, dass man als Schriftsteller das freie Verhältnis zum Stoff haben müsse. Das wurde ausgelegt, als fordere ich die bürgerliche Freiheit für die Kunst. Ich zitterte und musste auch aufpassen, dass sie mich nicht selbst als »Konterrevolutionärin« abstempelten. Dann saß ich wieder auf meinem Platz, vollkommen fertig. Es gab eine Pause. Hinter mir ging ein Schriftstellerkollege, der sagte: »So wie du müsste man eigentlich sprechen!« Ich sagte: »Na, und warum machst du es nicht?« Nach der Pause gingen die auf mich los. Zwischendrin verließ ich den Saal, ich war zu aufgewühlt. Draußen saß Anna Seghers, und ich erzählte ihr, was geschehen war. Sie meinte: »Sei doch froh, du hast deins gesagt.« Dann kam wieder einer: »Komm rein, Genossin Wolf, da wird zu dir gesprochen.« Die haben unheimlich auf mich eingedroschen, dass das alles abweichlerisch sei, dass ich nicht verstanden habe, dass die Partei jetzt etwas ganz anderes brauche als dieses freie Verhältnis des Schriftstellers zu seinem Stoff.
    GW     Ulbricht sagte am Ende: Es ging hier nicht um Kultur, es ging um Klassenkampf.
    JS     Hast du gefürchtet, dass dir etwas geschieht?
    CW     Nein. Angst hatte ich vor der Rede, danach war ich einfach erschöpft. Anna Seghers sagte in der Pause: »Komm mal mit, wir gehen rüber ins Ostasiatische Museum!« Ich: »Nee!« Sie: »Doch, doch!« Also wanderte ich mit ihr hinaus, auf der Straße fuhren viele Autos. Anna sagte, man müsse einfach loslaufen, da hielten die an. Sie hatte schon einmal einen sehr schweren Verkehrsunfall gehabt. »Ach, danach habe ich so schön schreiben können«, sagte sie.
    JS     War sie so etwas wie deine Mentorin?
    CW     Mentorin ist nicht das richtige Wort. In den ersten Jahren war sie eine beispielhafte Kollegin. Ich hatte immer ein sehr großes Interesse an ihr als Mensch. Je mehr ich von ihren Konflikten erfuhr, umso mehr Interesse hatte ich. Anna fragte andauernd Passanten, wie man zum Museum käme. »Anna, ich weiß es«, sagte ich. Wir gingen hinein, und sie sagte: »Guck doch mal, diese Leute durften nicht einmal Menschen darstellen und haben so schöne Sachen gemacht, Löwen, Pflanzen. Da geht’s uns doch aber besser!« Dann gelangten wir in die Skulpturen-Sammlung, sie strich einer Jünglingsstatue über den Rücken und sagte: »Da könnte man doch glatt schwul werden.«
    JS     Hat dich das beruhigt?
    CW     Es war mir auf jeden Fall wichtig, dass Anna mir zustimmte. Sie fand immer, dass ich mich zu sehr aufrege. Einmal schrieb sie mir zu den Kritiken: »Das ist für den Kopf bestimmt, aber du lässt es dir immer zu Herzen gehen.« Sie hatte schon einiges hinter sich. Als das Plenum zu Ende war, veröffentlichte das Neue Deutschland Ausschnitte aus meiner Rede, aber natürlich nicht die, die darstellten, was ich wirklich wollte.
    JS     War dir klar, dass das 11 . Plenum eine Katastrophe für die Kunst bedeutete?
    CW     Ja, sehr viele Filme wurden verboten, und ich wurde krank. Ich bekam eine richtige Depression im klinischen Sinne. Im Regierungskrankenhaus gab es einen klugen Psychiater, der mit meiner Kritik am Ganzen einverstanden war. Der merkte, dass ich aus dem Loch nicht herauskam, und sagte, er müsse mich einweisen, er übernehme die Verantwortung nicht mehr. Es

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