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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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anderen Schriftsteller, die dabeisaßen, sagten nichts?
    CW     Doch, einige. Das 11 . Plenum war etwa vier Wochen später, und inzwischen war einiges geschehen. Kurz zuvor hatte sich ein hochrangiger SED -Funktionär, Erich Apel 61 , umgebracht. Er hatte einen Handelsvertrag mit der Sowjetunion nicht unterzeichnen wollen, weil er der Meinung gewesen war, der fiele zuungunsten der DDR aus. Apel hatte sich in seinem Büro erschossen. Zu Beginn des Plenums sagte Ulbricht, der Genosse Apel sei gesundheitlich nicht ausreichend betreut worden. Wir müssten darauf achten, uns mehr um unsere Genossen zu kümmern, die arbeiteten zu viel. Er sagte, es gebe ein Tagebuch vom Genossen Apel, aus dem hervorgehe, dass er zu viel gearbeitet habe. Wer das Tagebuch sehen wolle, solle sich melden. Natürlich hatte keiner den Mumm, sich zu melden. Ich auch nicht. Nach dem Mauerfall erzählte ich diese Geschichte auf einer Tagung. Da rief mich eines Tages eine Frau an und sagte: »Ich bin Frau Apel, die Frau des Erich Apel, und ich höre zum ersten Mal, dass mein Mann ein Tagebuch geführt haben soll. Ich hatte keine Ahnung. Wissen Sie da mehr?« Es hat bestimmt kein Tagebuch gegeben. Jedenfalls wollte man auf dem 11 . Plenum mit einem wie Bräunig nicht mehr sanft umgehen. Es brauchte Anlässe, um zu zeigen, dass die Schriftsteller und ganz besonders die Filmemacher aus dem Ruder geraten waren. Und eben der arme Bräunig. Das war furchtbar, weißte! Da war eine solche Stimmung …
    JS     Kurz noch: Wo tagte das Plenum überhaupt?
    CW     Im Zentralkomitee am Werderschen Markt in Berlin in einem großen Saal.
    JS     Hast du vor dem Plenum schon geahnt, dass es schlimm werden würde?
    CW     Dass es so schlimm werden würde, ahnte ich nicht. Es war die erste große Kontroverse zwischen Honecker und Ulbricht. Honecker war ganz auf Seiten Moskaus und wollte dieses staatliche Reformprogramm zur Planwirtschaft, dieses Neue Ökonomische System der Planung und Leitung ( NÖSPL ), nicht. So wurde es ein Kulturplenum.
    JS     Wie war das, als du morgens dort ankamst, hattest du dich auf etwas vorbereitet?
    CW     Mir war jedes Mal schuckerig, wenn ich ins ZK ging. Ich bin da unheimlich ungern hingegangen. Kurt Seibt, ein alter Genosse und Erster Sekretär der Bezirksleitung Potsdam, der in der Nazizeit im Zuchthaus gesessen hatte, holte mich immer mit dem Auto aus Kleinmachnow ab und brachte mich auch wieder zurück. Der hatte sich ein bisschen in mich verguckt, saß neben mir im Auto, hielt meine Hand und versuchte immer, mich zu besänftigen: »Mädchen, wir haben viel Schlimmeres erlebt, nun sei mal ruhig.«
    JS     Hattest du Angst?
    CW     Ja, an dem Tag hatte ich Angst, bevor ich geredet habe. Am Anfang noch nicht, aber als es losging. Diese aufgeheizte Stimmung. Erst mal wurde dargestellt, wie furchtbar sich die Kunst und besonders die Filmkunst in der DDR entwickelt hätten. Es wurde dazwischengebrüllt: »Hört, hört!« und »Schweinerei!« Dann wurde mitgeteilt, die betroffenen Filme würden am Abend gezeigt werden. Da ging ich nicht hin. Ich konnte die Stimmung dort nicht ertragen. Während der drei Tage des Plenums übernachtete ich bei unseren Freunden Jeanne und Kurt Stern 62 , die in Pankow wohnten. Jeden Abend ging ich zuerst zu Konrad Wolf und dann zu den Sterns. Wir waren alle in dieser Verfassung: Um Gottes willen, was passiert jetzt!
    Als das Hauptreferat von Honecker vorüber war, kam der Beitrag von Paul Fröhlich, dem Ersten Sekretär der SED -Bezirksleitung Leipzig, ein übler Typ. Darin nannte er den Schriftstellerverband einen Pet ő fi-Club 63 . Mir war klar, wenn das unwidersprochen bleibt, können wir einpacken. Dann ist der Schriftstellerverband erledigt, und die Autoren stehen alle als »Konterrevolutionäre« da. Abends war ich wieder bei Konny Wolf, der sagte: »So, jetzt musst du sprechen! Das geht nicht!« Bei den Sterns diskutierten wir noch darüber, was ich sagen sollte, aber ich konnte keine Rede ausarbeiten. Am nächsten Tag ging ich wieder dorthin und war sehr aufgeregt.
    JS     Da hat man Schiss.
    CW     Ja klar, Mensch. Es herrschte eine solch aufgeheizte Stimmung. Etwa 200 Leute waren da. Ich hatte das Gefühl, ich stehe vor Panzern, die mich überrollen. Morgens, wenn die Tagung begann, musste man seine Wortmeldung abgeben. Ich ging zum Tagungsleiter und sagte: »Ich werde sehr spät eine Wortmeldung abgeben, wahrscheinlich komme ich gar nicht mehr dran.«

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