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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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wurde immer schlimmer. Mir war klargeworden, dass die ganze Sache schieflief. Dass das, was wir uns unter Sozialismus vorstellten, in der DDR absolut in die falsche Richtung ging. Ich wusste nicht, wie ich da noch schreiben sollte. Ich habe dann mit Nachdenken über Christa T. angefangen.
    JS     Wie hat Opa das gesehen?
    CW     Ganz genauso, aber nicht mit dem gleichen emotionalen Schauder. Ich war sechs Wochen in der Psychiatrie der Charité. Dort schrieb ich einen Brief an das ZK , dass ich krank geworden und den Anforderungen nicht gewachsen sei und dass ich nicht noch einmal als Kandidatin aufgestellt werden möchte. Danach kamen ein paar Vertreter des ZK mit einem Rosenstrauß ins Krankenhaus und wünschten mir alles Gute. Sie sagten, sie seien auch der Ansicht, dass es für mich zu anstrengend sei. Als sie gegangen sind, war ich unheimlich erleichtert. Das hatte es noch nie gegeben, dass jemand in diesem Gremium Kritik geübt hatte und sich dann wieder zurückziehen konnte. Das gab es einfach nicht.
    JS     Woher hattest du denn in dem Moment auf dem Plenum die Kraft zu widersprechen?
    CW     Du, Jana, das war ganz einfach. Ich dachte, wenn ich jetzt nichts sage, still dabeisitze und das damit sanktioniere, kann ich nie wieder schreiben. Das Schreiben war für mich auch ein moralischer Akt. Sonst hätte ich die Moral verwirkt. Abgesehen davon wollte ich mich für Werner Bräunig einsetzen, der später trotzdem unter die Räder kam. Das war ein Hauptmotiv in meinem Leben: Wenn ich Widerspruch einlegen musste, dachte ich zuvor, wenn ich jetzt nichts sage, kann ich nichts mehr schreiben …
    JS     Solche Zwangssituationen kenne ich in gewisser Weise noch aus meiner Kindheit, in denen ich das Gefühl hatte, das kann ich nicht so stehenlassen. Das war natürlich zu einer anderen Zeit und in einem anderen Rahmen. Aber ich erinnere mich an einen kleinen Privatkrieg mit meinem Wehrerziehungslehrer in der neunten Klasse. Er steigerte sich immer in Angriffe auf die »imperialistischen Kräfte« hinein. In einer Unterrichtsstunde ging es einmal um die US -Invasion in Grenada, und ich fragte ihn, ob die Russen nicht das Gleiche in Afghanistan täten. Er antwortete mit einer Geschichte: Ich solle mir vorstellen, ich sei mit meinem Freund im Wald und es kämen Männer, um mich zu vergewaltigen. Mein Freund würde nur danebenstehen und nichts dagegen unternehmen. Das fände ich doch sicher nicht richtig? So müsste ich mir das vorstellen, was die Russen in Afghanistan leisteten – Bruderhilfe. In der Klasse wurde gelacht, viele fanden das komisch. Von da an führte dieser Lehrer einen Kleinkrieg gegen mich, fragte ständig nach, ob auch »die Jana« nun alles richtig verstanden habe.
    CW     Ja, vom Charakter her sind das ähnliche Konflikte.
    JS     Ich hatte aber immer das Gefühl, dass mir eigentlich nicht viel passieren kann. Ich weiß nicht, wie das bei dir war.
    CW     Ich habe nicht gedacht, dass ich ins Gefängnis komme. Das war etwas, was ich ganz bestimmt nicht wollte. Davor füchtete ich mich. Ich verteilte keine Flugblätter wie einige andere 1968 gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag. So etwas machte ich eben nicht. Ich unterschrieb aber auch nicht die allgemeine Erklärung des Schriftstellerverbandes, der dem Einmarsch zustimmte. Deshalb wurde ich ins ZK bestellt und gefragt, warum ich nicht unterschrieben hätte. Ich antwortete, so viel Eigenverantwortung müsse ich haben können, um das selbst zu entscheiden.
    GW     Auf die Idee, Flugblätter zu verteilen, wären wir gar nicht gekommen. Das war die Protestform, die die jungen Wilden wie Thomas Brasch 64 oder Florian Havemann 65 wählten. Wir versuchten, uns taktisch zu verhalten. Christa unterschrieb nicht die Erklärung des Schriftstellerverbandes, sondern gab eine halbgewalkte Erklärung ab, in der sie sich zum Sozialismus bekannte, aber an die Vernunft appellierte. Dass sie dem Einmarsch nicht deutlich genug widersprach, wurde ihr später vorgeworfen.
    CW     Der Vorstand des Schriftstellerverbandes, in dem ich damals saß, gab natürlich eine Ergebenheitsadresse ab. Die haben Anna Seghers, Erwin Strittmatter und ich nicht unterschrieben. Ich verfasste eine eigene Erklärung, die im Neuen Deutschland abgedruckt wurde. 66 Der letzte Satz war: »Ich hoffe, die Vernunft wird siegen.« Danach sollte ich den Vorstand verlassen. Damit begann dieses Gefühl von Kein Ort, nirgends .
    Richtig Angst hatte

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