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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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vielleicht gefährlich sein könnte.
    CW     Das stimmt schon. Man hat es dadurch ein wenig verharmlost. Aber als wir später in unseren Akten lasen, dass die Stasi tatsächlich seit 1969 unser Telefon abhör te … da waren wir doch erstaunt. Es war mehr und länger, als wir gedacht hatten.
    JS     Seit 1969 , das ist ganz schön früh. Nach dem Prager Frühling 1968 .
    CW      1969 wurden wir einem gefährlichen Kreis zugeordnet. Die Stasi nannte ihn »Operativer Vorgang Doppelzüngler« 57 . Das war ein Maßnahmeplan zu unserer Überwachung. Der setzte ein, als wir in Kleinmachnow wohnten. Das war sehr intensiv.
    JS     Du meinst den Kreis um die Schlotterbecks in Kleinmachnow?
    CW     Zuerst haben sie einige dazugezählt, die gar nicht zu uns gehörten …
    GW     Ich war zuerst in einer anderen Gruppe, die hieß »Skorpion«, darin waren mehrere Kleinmachnower. Dann wurden wir zum » OV Doppelzüngler«.
    JS     Habt ihr damals schon vermutet, dass ihr überwacht werdet?
    CW     Nein, damals noch nicht.
    GW     Na, doch. Einmal lag ein Mann unter unserem Fenster in Kleinmachnow. Wir saßen beim Essen, und plötzlich sprang jemand vor unserem Fenster auf und lief weg. Die Stasi hörte nicht nur unser Telefon ab. Da gibt es diese hübsche Geschichte, wie ich mit einem Dramaturgen der DEFA telefoniere. In der Akte steht dann: »Herr Wolf legt den Hörer auf und sagt ins Zimmer hinein: Das ist aber ein Arschloch!«
    Wir lachen.
    CW     Ich muss es immer wieder sagen, eine Zeitlang ging es darum, ob das nun »unsere« sind oder nicht.
    JS     Was meinst du mit »unsere«, auf eurer Seite?
    CW     Die Schwierigkeit lag darin, sich klarzumachen, dass die eben nicht auf unserer Seite waren. Lange dachte ich, ich muss die davon überzeugen, dass wir auf derselben Seite stehen. Bei Der geteilte Himmel fing es an, da dachte ich noch, ich will dasselbe wie diese Parteifunktionäre, aber dann merkte ich schon, nein, das stimmt gar nicht. Ich will nicht dasselbe wie sie. Einerseits wurde es dadurch schwieriger, Kritik zu üben, weil wir in die Opposition gehen mussten, andererseits wurde es auch leichter, weil der innere Konflikt nicht mehr so heftig war.
    JS     Wo hast du dann versucht, Kritik zu üben? Auf Parteiversammlungen?
    GW     Auf dem 11 . Plenum des Zentralkomitees der SED 1965 , auf dem die Künstler angegriffen wurden, da war Christa die Einzige, die widersprach. Das war die große Stunde der Bewährung.
    CW     Und danach bei allen möglichen Gelegenheiten.
    GW     Zum Beispiel waren wir 1963 bei einer Tagung in Prag. Dort bekam Christa ein Telegramm, dass sie sofort in die DDR zurückkehren solle. Sie wusste aber nicht, warum. Christa wurde überredet, ins Zentralkomitee der SED zu gehen. Die Genossen sagten, vieles werde besser werden und sie bräuchten kritische Stimmen, und so einen Unsinn.
    JS     Wer hat dich überredet, Oma?
    CW     Der Regisseur Konrad Wolf. Als ich aus Prag kam, war die Kandidatenliste schon fertig, und ich stand darauf. Ich kriegte einen Schock. Als ich sagte, dass ich nicht wolle, meinte der Schriftsteller und Parteifunktionär Alfred Kurella 58 : »Du hast keine Ahnung, was dann losgeht.« Konrad Wolf sagte, es gehe ein neuer antistalinistischer Zug durch die Partei und sie bräuchten Leute im ZK , die unsere Interessen vertreten.
    GW     Deswegen war es auch schwer, da wieder herauszukommen. Wir beide hatten wüste Auseinandersetzungen. Ich habe Christa gesagt, sie solle das nicht machen, aber es war natürlich schwer, da nein zu sagen.
    CW     Dann geschah etwas Skurriles: Eine Art reitender Bote kam zu mir und sagte, ich sei Kandidatin des ZK und würde nun 200 Mark im Monat kriegen und eine Pistole. Ich lehnte ab und sagte, ich bräuchte keine Aufwandsentschädigung. Ich könne gut von dem leben, was ich schriebe, und eine Pistole nähme ich auf keinen Fall, weil ich niemals auf einen Menschen schießen würde und auch keine im Haus haben wolle. Der Bote meinte, man könne doch nie wissen, ob man in eine Situation gerate, in der man sich als Genossin verteidigen müsse. Und ich sei die Einzige, die das ablehne. »Na gut, dann bin ich eben die Einzige«, sagte ich.
    JS     Das war vor dem 11 . Plenum?
    CW     Das war, nachdem ich auf dem SED -Parteitag 1963 zur Kandidatin gewählt worden war. Kandidatin war man, bevor man volles ZK -Mitglied wurde. Zur ersten Sitzung ging ich mit Otto Gotsche,

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