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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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also das Gefühl, wenn ihr im Westen leben würdet, hättet ihr keinen Stoff mehr zum Schreiben?
    CW     Ich könnte bei jedem einzelnen Buch sagen, aus welcher Konfliktlage heraus es sich mir aufgezwungen hat. Wenn ich drüben gelebt hätte, das merke ich ja jetzt, wäre dieser Konflikt veschwunden gewesen. Das Drübige kannte ich nicht genug.
    JS     Das klingt, als seien dir heute die Konflikte abhandengekommen. Aber du schreibst doch noch.
    CW     Was ich in den vergangenen Jahren geschrieben habe, ist eine Auseinandersetzung mit genau diesen Konflikten, natürlich jetzt nach dem Mauerfall. Der Konfliktstoff ist der alte und wird neu bearbeitet. Auch in dem Buch Stadt der Engel , das ich in Amerika angefangen habe und von dem ich noch nicht weiß, ob ich es hinkriege. Ich glaube nicht, dass ich danach noch etwas schreiben werde. Vielleicht kleinere Sachen …
    GW     … ich drängle sie zu einer ganz bestimmten Sache! Christa hat auf eine Weise Hemmungen, die überhaupt nicht nötig sind. Eine sehr schöne Geschichte über Franzi, wie wir sie erlebt haben. Ein Ausflug in die Beskiden … Christa hat einmal angefangen, sie zu schreiben, es ist eine ihrer besten Erzählungen …
    CW     … wird es …
    JS     Wie ist das eigentlich, Opa, du liest Omas Sachen immer als Erster?
    CW     Das kann man wohl sagen!
    GW     Dann wird diskutiert.
    JS      (zu CW ) Und hörst du immer auf alles, was er rät?
    CW     Ja. Tinka hat einmal erzählt, wie wir, als sie klein war, über ein Manuskript diskutierten. Wir stritten uns. Dann kam Tinka irgendwann und fragte: »Scheidet ihr euch jetzt?«
    JS     Geht das bis heute so, in der gleichen Intensität?
    CW     Nein, nicht so, aber intensiv ist es schon. Als wir uns noch nicht lange kannten, zog Gerd jede Seite, die aus meiner Maschine kam, heraus und kritisierte sofort. Das war nicht gut, weil es mich hemmte. Ich legte dann meine Seiten umgedreht neben die Schreibmaschine, und er las sie heimlich. Irgendwann sagte er: »Ich glaube, jetzt läuft’s.« Ich bekam natürlich einen Wutanfall, freute mich aber auch darüber.
    JS     Und hast du Opas Sachen auch immer gleich gelesen?
    CW     Ja, kritisch war ich schon, aber mehr im Detail.
    JS     Habt ihr parallel angefangen zu schreiben?
    GW     Ich habe viel früher einmal an einem Roman gearbeitet, den ich nicht weitergeschrieben habe. Ich habe viel mehr Schreibhemmungen, weil ich viel zu viel kenne.
    JS     Wann habt ihr begonnen zu schreiben?
    GW     Beim Studium. Da dachten wir uns Filme aus.
    CW     Nein, danach. Als ich beim Schriftstellerverband angestellt war, schrieb ich nur Rezensionen oder ideologisch-literarische Artikel darüber, wie man schreiben sollte. (lacht) Das wusste ich natürlich ganz genau. Unser Heiliger war Georg Lukács, der eine ganz bestimmte Art von Literatur und Schreiben propagierte. Sozialistischer Realismus, aber nicht im primitiven Sinne – im Lukács’schen Sinne Realismus. Das leuchtete uns völlig ein.
    Draußen dämmert es. Mein Großvater verlässt die Küche, er geht Nachrichten schauen. Meine Großmutter und ich bleiben allein zurück.
    JS     Wusstest du schon immer, dass du schreiben willst?
    CW     Na ja, doch. Ich habe immer mal ein Stückchen abgesondert. Dann hat mich erst einmal das Studium verdorben, von all diesen Theorien verlor ich meine Spontanität.
    Zunächst wollte ich Lehrerin werden, das änderte sich beim Studium. Dann wollte ich eher Lektorin oder Kritikerin werden. Später war ich bei der Neuen Deutschen Literatur Redakteurin. Mein Chef, F. C. Weißkop f 71 , war ein sehr scharfer Kritiker. Wenn ich da meine Texte zurückbekam, waren die rot, rot, rot. Da habe ich schreiben und redigieren gelernt und dass man das meiste streichen muss.
    JS     Du warst zu ausufernd?
    CW     Nicht genau genug.
    JS     So ein rot angestrichenes Manuskript macht einen doch fertig!
    CW     Ich habe den Text dann noch einmal geschrieben. Wie ich gefühlsmäßig darauf reagierte, weiß ich gar nicht mehr. Auf alle Fälle war es eine Schule. Ich leitete ja auch schon junge Autoren an.
    JS     Es gibt die Anfangs- und die Schlusstypen, was bist du?
    CW     Mir fällt der Anfang schwer. Bei Kindheitsmuster hatte ich 38 Anfänge. Bei jedem Text geht es erst einmal darum, den Ton zu finden. Wenn man den hat, kann man den Stoff bearbeiten.
    JS     Das geht mir genauso. Aber den

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