Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
du das empfunden? Warum besetzt?
CW Was hatte Coca-Cola mit der DDR zu tun? Die ganzen West-Marken überschwemmten alles.
JS So hätte ich damals nie gedacht. Ich dachte: Super, endlich gibt’s Coca-Cola!
CW Nun habe ich nie gern Coca-Cola getrunken.
JS Vielleicht war der Veröffentlichungszeitpunkt von Was bleibt nicht glücklich gewählt. Und du hattest die DDR tatsächlich oft verteidigt, aber auch oft heftig kritisiert. Was denkst du, warum wurdest du besonders angegriffen?
CW Zeitweilig traf es auch Heiner Müller. Ich dachte, es gab so viele richtige Arschlöcher, die man wirklich hätte kritisieren können – wieso gerade ich?
JS Ich habe damals nicht verstanden, warum du dich nicht stärker gegen die Angriffe gewehrt und auch einmal darauf hingewiesen hast, für wie viele Leute Opa und du euch eingesetzt habt und wie sehr unsere Familie über die Jahrzehnte bespitzelt worden war.
CW Das hätte ich gar nicht gekonnt. Man kann doch nicht sagen: Ich bin nicht so oder so. Ich dachte, die sollen meine Texte lesen, aber darum ging es natürlich gar nicht. Die Kritiker warfen mir vor, mich mit der Beschreibung der Stasiüberwachung in Was bleibt als Märtyrerin darstellen zu wollen. Wenn man das Buch richtig liest, ist das ein sehr selbstkritischer Text. Später haben das auch einige erkannt.
JS In den Medien muss es oft sofort eine laute und harte Gegenreaktion geben, um die anderen zu übertönen.
CW Dazu waren wir damals nicht in der Lage.
JS Das wollte ich dich schon lange einmal fragen, wie war das mit deiner Stasigeschichte? Du wurdest für kurze Zeit ganz früh von 1959 bis 1962 als inoffizielle Mitarbeiterin geführt. Du hast erzählt, dass du das völlig verdrängt hattest. Das haben damals leider viele gesagt.
CW Ich wusste es überhaupt nicht mehr. Es war ja auch eigentlich nichts gewesen. Ich hatte nichts unterschrieben. Die Staatssicherheit hatte mich als IM geführt, was ich nicht wusste. Später entsann ich mich, dass ich, als ich Redakteurin bei der Neuen deutschen Literatur war, mich zweimal mit solchen Typen getroffen hatte, aber ich hatte diese Treffen überhaupt nicht als IM -Treffen eingeordnet. Die Bezeichnung IM kannte man früher noch nicht. Als ich 1992 von dieser Akte erfuhr, war ich wie vor den Kopf gestoßen. Darin stand eben, dass ich auch einmal in einer konspirativen Wohnung gewesen sein muss. Daran kann ich mich nun kein bisschen erinnern. Ich hatte eine einzige Art Beurteilung über jemanden geschrieben, die war absolut positiv ausgefallen. Die Staatssicherheit sagte ziemlich rasch, die Wolf ist irgendwie nicht eifrig dabei, und zum Schluss schrieben sie: Kein Interesse mehr. Na gut. Anfang der neunziger Jahre ging es nicht darum, was einer tatsächlich gemacht hatte. Die Bezeichnung IM allein war schon die Verurteilung, sie ist es zum Teil bis heute noch.
JS Wie hast du von dieser IM -Akte erfahren, hat die Gauck-Behörde dir das mitgeteilt?
CW Nein. Ich war 1992 selbst bei der Gauck-Behörde in der Normannenstraße gewesen, um unsere Opferakten einzusehen. Zuerst war ich allein dort, dann kam Gerd manchmal mit. Ich saß vielleicht schon eine Woche dort, wir hatten eine Menge Akten. Die Akten lagen in einer grünen Seemannskiste, die Bearbeiter brachten sie immer häufchenweise, so viel, wie man an einem Tag schaffen konnte. Es gab eine Sachbearbeiterin, die unsere Akten zuvor gelesen hatte und sie besser kannte als wir. Als ich alles gelesen hatte und das letzte Mal dort im Lesesaal saß, sagte diese Frau, eine sehr nette übrigens: »Na ja, da ist noch eine Akte, aber die darf ich Ihnen nicht zeigen.« Ich: »Wieso nicht?« Da kam sie mit so einem dünnen grünen Faszikel und schlug es auf. Da stand plötzlich dieses IM , mir standen die Haare zu Berge. Buchstäblich. Ich hatte das noch nie zuvor erlebt. Sie blätterte vor mir ein bisschen darin herum, um mir einen Überblick zu geben, worum es ging. Das war, als ob mir jemand mit der Holzlatte über den Kopf geschlagen hätte.
JS Konntest du dich dort daran erinnern?
CW Überhaupt nicht. Die Mitarbeiterin sagte: »Regen Sie sich doch nicht auf! Bei Ihnen gibt es so viele Opferakten und dieses kleine Aktenstück – das wird Sie überhaupt nicht betreffen.« Ja, denkste!
Dann wurde die IM -Akte öffentlich. Journalisten hatten einen Hinweis gekriegt, konnten Akteneinsicht beantragen und bekamen
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