Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Sachen von mir wurden öffentlich nicht akzeptiert. Zum Beispiel Nachdenken über Christa T. durfte nur in zwei Zeitungen besprochen werden.
Und Marcel Reich-Ranicki schrieb in der Zeit : »Christa T. stirbt an der Leukämie, aber sie leidet an der DDR .« 72 Dieser Satz wurde mir in der DDR vorgeworfen, ich sollte dazu Stellung nehmen. »Ich habe ihn nicht geschrieben«, sagte ich. Bei anderen Büchern gab es Vorgaben, wie sie besprochen werden sollten. Das hat mich schon angegriffen. Auch die Westkritiken waren zum Teil ganz schön blöd. Es war nicht einfach, sich mit diesen Kritiken auseinanderzusetzen. Wichtig waren immer die Leserbriefe, und die kamen meistens in ziemlicher Menge. Da konnte man herauslesen, wie etwas ankam.
JS Ich kann mich erinnern, bei eurer goldenen Hochzeit 2001 haben wir dieses Spiel gespielt: Opa und du sollten Fragen beantworten, wer wie viel über den anderen weiß. Opa sollte sagen, wen du am meisten verabscheust. Er antwortete, er glaube, Frank Schirrmacher und Ulrich Greiner! Die Kritiker. Und du sagtest: Ja!
CW Das weiß ich gar nicht mehr, aber es stimmt.
JS Das waren diejenigen, die dich Anfang der neunziger Jahre im Literaturstreit 73 besonders angegriffen hatten, sie hatten nicht nur dein Buch Was bleibt , in dem du die Überwachung durch die Staatssicherheit verarbeitest, kritisiert, sondern sie stellten deine gesamte politische Haltung in Frage.
CW Mit diesen Konflikten setze ich mich in meinem neuen Buch Stadt der Engel auseinander. Ich entsinne mich, was mir vorher, glaube ich, nie passiert ist: Ich dachte immer, ich kann nicht verabscheuen, aber denen habe ich alles Üble gewünscht.
JS Was hat dich am meisten getroffen, dass sie zuvor anders über dich geschrieben hatten?
CW Sie hatten zum Teil vorher anders geschrieben. Ich hatte immer das Gefühl, sie schreiben das, weil sie denken, sie müssten das jetzt schreiben. Mir hat mal einer gesagt, dass man mich politisch aus dem Verkehr ziehen wolle. Dass es deshalb diese Kampagne gebe.
JS Wer hat das gesagt?
CW Michel Gaißmayer 74 bei einem Kolloquium des Bertelsmann-Konzerns im Cecilienhof in Potsdam 1990 . Das war eines der ersten Ost-West-Kulturtreffen nach dem Mauerfall. Da begann die Kampagne gegen mich. Auch Frank Schirrmacher war dort und griff mich an. Das traf mich völlig unvorbereitet. Ich war fassungslos und verstand nicht, warum ich auf einmal die » DDR -Staatsdichterin« gewesen sein sollte. Diejenige, die Schuld daran gehabt haben sollte, was in der DDR -Kulturpolitik schiefgelaufen war. Ich dachte: Haben sie nie etwas von mir gelesen? Dieses Kolloquium ging über ein ganzes Wochenende. Wir hatten dort im Cecilienhof auch ein Zimmer. Einmal irrte ich durch die Gänge und fand es nicht gleich. Plötzlich hielt mich ein mir unbekannter Mann an, winkte mich in eine Nische und sagte: »Frau Wolf, ich hoffe, Sie nehmen das nicht persönlich, was hier geschieht!« Ich: »Na, wie soll ich es denn sonst nehmen?« Er: »Es geht nicht um Ihre Vergangenheit, in Wirklichkeit geht es um Ihre Aktivitäten in der Gegenwart. Das stört. Man will Sie aus dem Verkehr ziehen, um Ihre andere politische Meinung zu desavouieren.« Danach verschwand er. Erst später erfuhr ich, dass dieser Mann Michel Gaißmayer war. Diese Begegnung war wie eine Vision. Ich hielt eine Porzellandose in der Hand, die hatte dort jeder bekommen. Mit der kam ich ins Zimmer und erzählte Gerd, was gerade passiert war. Die Porzellandose war wie ein Beweisstück dafür, dass es diese Begegnung tatsächlich gegeben hatte.
Meine Großmutter bricht ab. Sie blickt zum Fenster, draußen ist es dunkel. Mein Großvater ist nicht zurückgekehrt, er schaut im Wohnzimmer fern.
CW Wir wollen jetzt mal Fernsehen gucken! Wir gehen mal.
Sie bleibt doch und erzählt weiter.
CW Da begann die Abrechnung mit der DDR . Der damalige Außenminister Klaus Kinkel hatte die Losung ausgegeben, die DDR müsse delegitimiert werden. Die Hauptvertreter der DDR , die noch nicht ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten, waren die DDR -Schriftsteller. Die mussten nun delegitimiert werden. Das war Absicht, das habe ich zuerst nicht durchschaut. Das war für uns alles neu. Dieses Kolloquium war sehr gut organisiert, es gab wunderbares Essen. Es war Frühsommer, wir konnten draußen sitzen, und da standen Coca-Cola-Schirmchen. Ich dachte: Aha, jetzt sind wir besetzt.
JS So hast
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