Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
heirateten wir noch im Juli 1951 .
JS Gab es Druck von euren Familien, dass ihr heiraten müsstet?
CW Letztendlich schon. Wenn man nicht verheiratet war, bekam man auch keine Wohnung. In Leipzig wurden uns dann zwei leere Zimmer in einer Wohnung mit Küchennutzung zugewiesen.
GW Die Küche teilten wir uns mit einer anderen Familie. Papierwindeln gab es überhaupt noch nicht, die Stoffwindeln mussten wir in der Küche auf dem Herd auskochen, und manchmal kochte der Topf über.
CW Es gab auch ein Bad, aber wir konnten die Badewanne nicht benutzen, wir hatten keine Kohlen für den Badeofen. Das Wasser fürs Baby mussten wir auf dem Herd warm machen.
GW Die Möbel stoppelten wir zusammen. Von unseren Eltern hatten wir eine furchtbar alte Schlafzimmereinrichtung bekommen. Das Schlafzimmer war auch nicht beheizbar, es war ein eiskalter Kristallpalast.
CW Gerd war beim ersten Kind, Annette, auch nicht der Typ, der das Baby windelte. Er kam gar nicht dazu.
GW Das hat man damals, 1952 , noch nicht gemacht. Man ging als Mann auch nicht mit zur Geburt. Als der Anruf kam, dass das Kind geboren worden war, saß ich beim Rundfunk bei der Arbeit. Meine Kollegen ließen mich hochleben.
CW Gerd kam ins Krankenhaus, schaute sich das Baby an und sagte: »Sieht aber ulkig aus!« Die Hebamme ist fast ausgeflippt: »Das ist das schönste Baby der Klinik!«
Ein großer Fortschritt war damals, dass die Babys tagsüber im Bettchen neben ihren Müttern liegen konnten. Aber in meinem Zimmer lagen fünf Frauen, und alle Babys brüllten gleichzeitig. Das war nicht ideal.
GW Christa hat dann gleich weiterstudiert. Wir hatten ein nettes Mädchen, das sauber machte und Annettchen betreute, wenn Christa studieren musste.
CW Ich musste beweisen, dass ich es trotz Schwangerschaft und als Mutter schaffte zu studieren. Ich hielt ein Referat über das Fräulein von Sternheim mit einem riesigen dicken Bauch, der war viel größer als deiner jetzt. Danach durfte ich dann in das Oberseminar von Hans Mayer. Als Annette da war, stillte ich sie ein halbes Jahr lang. Ich wollte aber auch unbedingt zum gleichen Zeitpunkt wie die anderen mein Examen ablegen, nicht etwa ein Semester später. Ich wollte auch nicht irgendein Examen machen, es sollte schon sehr gut sein. Deshalb lernte ich manchmal bis nachts um zwei oder drei für die Prüfungen. Da habe ich mich das erste Mal überarbeitet. Ich war sehr ehrgeizig.
JS (zu CW ) Es war für dich von Anfang an selbstverständlich, dass du keine Babypause machst, sondern das Studium fortführst?
CW Ja, das war ganz klar. Ich war natürlich sehr blauäugig, ich wusste ja nicht,wie anstrengend das werden würde. Nach dem Examen hatte ich Herzbeschwerden. Meine Mutter war eine phantastische Großmutter. In den Ferien musste ich Praktika machen, dorthin konnte ich Annette aber nicht mitnehmen. In Weimar wirkte ich einmal an der Goethe-und-Schiller-Ausstellung mit und machte dort Führungen. Annette war damals ein halbes Jahr alt, und meine Mutter nahm sie zu sich. Ich konnte nur alle 14 Tage zu ihr fahren und hatte wahnsinnige Sehnsucht nach meinem Baby. Das fand ich sehr hart, aber wo sollte das Kind hin?
GW Jedenfalls war Christas Mutter oft da. Der Schriftstellerverband übernahm 1953 das Schriftstellerheim in Petzow am Schwielowsee bei Potsdam, das leiteten dann Christas Eltern. Wenn wir verreisten, blieb Annettchen dort bei ihnen.
CW Es war sehr wichtig, die Großeltern im Hintergrund zu haben. Als Tinka geboren wurde, hatte Annette Keuchhusten. Da blieb sie bei ihnen und nicht in unserer Familie. Das war nicht gut, ließ sich aber nicht ändern.
JS Wenn man heute schwanger ist, bekommt man ständig Ratschläge. Viele reagieren entsetzt, wenn ich sage, dass ich weiterarbeiten will. Man gilt fast als Rabenmutter, wenn man nach der Geburt seines Kindes noch seinen Beruf ausüben mag. Wie war das bei euch, oder herrschte da schon das sozialistische Frauenbild vor?
CW Das fing erst an, sich zu entwickeln. Es gab das sozialistische Menschenbild: Mann und Frau sollten gleichberechtigt leben und arbeiten können. Man hatte aber nicht darüber nachgedacht, wie die Frauen das anstellen sollten. Es gab keinerlei Voraussetzungen dafür: keine Kindergärten, keine Waschmaschinen, keine Babynahrung, keine Pampers. Aber dass man als Frau weiterarbeitete, war selbstverständlich, darüber
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