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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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ist kurz nach ihrer Fahrprüfung in Werder rückwärts in eine Einbahnstraße gefahren und riss dabei ein Bäumchen um. Dummerweise stand der Bürgermeister von Werder daneben. Wir hörten nie wieder von ihm.
    JS     Meine Mutter ist einmal in einen Garten gefahren und fast im Swimmingpool gelandet.
    CW     Annette ist auch nicht der Autofahrtyp.
    GW     Christa ist viel mit unserem ersten Trabantchen gefahren, den wir 1960 bekamen. Wenn man mit dem über hundert fuhr, blieb er stehen, dann musste man ranfahren, warten, dass er abkühlte, und erst danach konnte man weiter.
    JS     Musstest ihr zehn Jahre auf einen Trabant warten?
    CW     Nicht ganz. Über den Schriftstellerverband ging es etwas schneller.
    JS     War es euch wichtig, Geld zu haben?
    CW / GW     Nee!
    CW     Das spielte gar keine Rolle. Hauptsache, man konnte leben.
    GW     In Halle hatten wir das erste Mal Geld auf einem Konto. Ich kam einmal nach Hause und sagte: »Mensch, wir haben 3000 Mark auf der Bank!« Die gingen auch nicht einfach so weg.
    JS     Wir können gar nichts sparen. Wir geben immer alles aus.
    CW     Wieso gebt ihr so viel aus?
    JS     Wir haben hohe Festkosten: Mieten, Versicherungen, Steuer, das Büro am Laufen halten. Wir gehen viel essen, verreisen oft.
    CW     Und wollt ihr das ändern?
    JS     Viel ändern können wir nicht. Wir leiden auch keine Not. Von den Filmhonoraren kann man ein bisschen was ansparen. Das ist eher für die Rente. Weil wir wohl kaum noch eine kriegen werden.
    CW     Das müsst ihr auch machen!
    GW     Wenn bei uns damals jemand gesagt hätte, dass er an seine Rente denkt, hätten wir laut gelacht. Genauso wie am Anfang niemand ein Haus haben wollte, das war Besitz …
    CW     … das fand man ausgesprochen piefig, kleinbürgerlich. Wir waren ja Sozialisten.
    JS     Warum habt ihr dann später eins gekauft?
    CW     Der erste Bungalow in Prieros flog uns sozusagen zu. Den hatte uns die Schriftstellerin Alex Wedding 118 vermacht. Wir wollten raus aus Berlin, um ein bisschen Ruhe zu haben.
    GW     Später bin ich ein ganzes Jahr herumgefahren, um etwas zu finden. Ich sah riesige Bauernhöfe oder richtige Bruchbuden, und dann kam das Haus in Neu-Meteln.
    JS     Eigentum galt nicht mehr als verwerflich?
    CW     Es gab eine Bewegung – die Datschen. In den siebziger Jahren wollten viele aus der Stadt raus.
    JS     Um aus dem politischen Schussfeld zu kommen?
    CW     Das dachte man. Unsere Stasi-Akten sagen etwas anderes.
    JS     In der DDR zog man sich in die Datschen zurück, im Westen machten die 68 er Revolution. Wie habt ihr die gesehen?
    GW     Einmal liefen wir 1968 zusammen mit dem SDS -Vorsitzenden KD Wolff 119 bei einer Anti-VietnamkriegsDemo mit. Wir übernachteten bei ihm in Frankfurt. Die Universität war besetzt, und es wurden Reden gehalten. Die schrien alle aufeinander ein. Wir fanden das furchtbar chaotisch.
    JS     Konntet ihr diesen Protest verstehen?
    CW     Doch.
    GW     Dass sie dachten, sie machten Revolution, konnte man nicht richtig ernst nehmen. Vor der Vietnamdemo hatten sich die Demonstranten zerstritten. Es gab dann zwei Demos. Die Bauarbeiter standen am Straßenrand und zeigten den Demonstranten den Vogel, und die riefen »Ho, Ho, Ho Chi Minh!« Das war für uns marxistisch Gebildete schwer zu verstehen.
    CW     Ich war richtig geschockt, als ich hörte, dass sie tatsächlich dachten, sie machten eine Revolution. Ich fragte noch: »Wie kommt ihr denn darauf?« Es gab keine Voraussetzungen dafür – weder ökonomischer Art, noch stand die Masse der Bevölkerung hinter ihnen.
    JS     War euch diese Bewegung nicht sehr fremd, es ging doch auch um freie Liebe und antiautoritäre Erziehung?
    GW     Wir fanden die Akteure furchtbar schlampig, bewunderten sie aber auch. Die aßen schon zum Frühstück drei verschiedene Sorten Joghurt. Donnerwetter!
    Wir lachen.
    CW     Du, Jana, was du sagst, kam erst später zum Tragen. Davon bekamen wir damals noch nicht viel mit.
    GW     Der Feminismus spielte 1968 noch gar keine Rolle, erst als die Autorinnen ihre guten Bücher schrieben – Maxi Wander, Helga Königsdorf, Irmtraud Morgner.
    JS     Ist Alice Schwarzer für euch eine wichtige Figur?
    GW     Damals ist sie es sicher gewesen. Am Grab von Irmtraud Morgner haben Alice Schwarzer und ich die Reden gehalten. Jetzt tritt sie in den Talkrunden als die

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