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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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studieren. Das war vollkommen selbstverständlich. Gerd vertrat überhaupt nicht die Meinung, dass er eher berufstätig zu sein hatte und ich zurückstecken sollte.
    JS     Opa war ein moderner Mann!
    CW     Ja. Als ich anfing zu schreiben und Bücher herausbrachte, war klar, dass ich das weiterzumachen hatte.
    JS     Du hast oft auch mehr Geld verdient als er.
    CW     Ja, natürlich. Das war nie ein Problem. Ich meine, er hat immer sehr viel gearbeitet, aber weniger Geld dafür bekommen. Wenn man als Schriftsteller Glück hat und sich die Bücher gut verkaufen, kriegt man für die gleiche Arbeit einfach mehr Geld. Wir waren doch heilfroh, ab dem Geteilten Himmel Anfang der sechziger Jahre hatten wir als Familie eigentlich keine Geldprobleme mehr.
    JS     Ihr habt stets beide geschrieben. War es je ein Problem, dass du mehr Erfolg hattest?
    CW     Es ist wirklich erstaunlich, aber dein Opa hat offenbar kein Problem mit Konkurrenz. Er ist nicht wie zum Beispiel Max Frisch, der es nicht ertrug, mit Ingeborg Bachmann zusammenzuleben. Gerd hatte von Anfang an ein gesundes Selbstbewusstsein, so dass er sich nicht benachteiligt fühlte oder weniger wert, wenn er weniger äußeren Erfolg hatte. Das ist bis heute so. Er macht die tollsten Sachen, steht aber oft in meinem Schatten, und zwar völlig unverdient. Manchmal ist das für mich eher ein Problem als für ihn. Sein Verlag Janus press 116 , den er nach dem Mauerfall gegründet hat, wird meiner Meinung nach nicht genügend geschätzt. So ist es ihm eigentlich immer gegangen. Er hat stets dazu beigetragen, dass ich arbeiten konnte, und hat meine Manuskripte stark mitbeeinflusst und lektoriert. Das ist eine ideale Verbindung. Ich glaube, wenn eine Ehe so lange gutgeht, hat das auch damit zu tun, dass man sich gegenseitig etwas geben kann. Das war und ist bei uns ideal. Wir ergänzen uns.
    JS     Was hast du ihm gegeben?
    CW     In den frühen Jahren sind sehr viele Menschen, sehr viele Freundschaften durch mich in unser Leben gelangt. Heute kommen durch Gerds Verlag besonders viele Maler neu in unseren Freundeskreis. Das ist Gerds großes Talent, er erkennt Talente und fördert sie. Er braucht ein Buch nur anzulesen und weiß, ob jemand begabt ist. Ich stolpere so durch und weiß es am Ende immer noch nicht genau.
    JS     Was hat er dir gegeben?
    CW     Das ganze große Gebiet der bildenden Kunst hat er mir erschlossen. Darin war ich ein Analphabet, als wir uns kennenlernten. Erst durch ihn entwickelte auch ich ein Bedürfnis, Kunst zu sehen und mich damit zu umgeben. Und die Lyrik hat er mir eröffnet. Das ist heute noch so. Wir sitzen beim Frühstück, er sagt einen Satz, und gleich überlegt er, aus welchem Gedicht er stammt, dann zieht er sofort los zum Bücherregal und holt den Brecht. Er sucht so lange, bis er den Satz findet. Oder Thomas Brasch, den liebt und verehrt er sehr. Ich entsinne mich an so viele Stunden, in denen er Verse vorgelesen hat. Vor allem durch ihn umgibt mich eine Atmosphäre von Literatur und Malerei. Er wird dieses Jahr achtzig Jahre alt, und ich schreibe für ihn gerade ein Tagebuch, was er in diesem Jahr alles macht. Dabei merke ich, wer wie viel vorkommt, welche Namen fallen und an welche Menschen er sich erinnert. Es ist ein ganzes Geflecht, auf dem unser Leben ruht. Ich könnte mir ein Leben ohne diesen literarisch-künstlerischen Hintergrund gar nicht vorstellen. Und das Zweite sind natürlich die Kinder.
    JS     Gab es einmal eine Zeit, in der eure Beziehung bedroht war?
    CW     Nein. In den ganzen 57 Jahren unserer Ehe stand nie die Frage, ob wir einmal auseinandergehen. Es gab sicher Zeiten, die weniger intensiv waren als andere. Aber eigentlich wurde es immer intensiver. Besonders in der DDR -Zeit war ich in große Konflikte verwickelt, und ich weiß nicht, wie ich sie allein hätte bewältigen können. Das hätte ich nicht geschafft. Ich war manchmal sehr krank, befand mich in schlimmsten Zuständen. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn da nicht einer gewesen wäre, auf den ich mich völlig verlassen konnte und der auch ein guter Maßstab für moralische Fragen war – dafür, was man machen kann und was nicht. Während ich manchmal dachte, ich muss bestimmte Sachen machen, weil ich der DDR nicht schaden wollte. Von ihm kam immer die Gegenbewegung. Gerd ist nicht zu kaufen.
    JS     Vielleicht gibt es auch einen Punkt in einer Beziehung, ab dem man gar nicht mehr

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