Sei lieb und büße - Thriller
wird jetzt nicht nach ihrer Mutter sehen. Heute wird sie nach sich selbst sehen.
Sie wird einen Kaffee trinken, warten, bis Pause ist, und dann Laureen anrufen. Und danach wird sie ins Bett gehen und den Wecker auf ein Uhr stellen, um Ben rechtzeitig abzuholen.
»Hallo, Laureen.« Sina tunkt den Löffel in den fluffigen Schaum ihres Milchkaffees und nimmt die oberste Schaumkrone ab.
»Sina! Wir haben uns schon Sorgen gemacht!«
»Ich brauche eure Hilfe. Du hast recht mit Tabea.« Sina schlürft den Schaum vom Löffel. »Mia dachte auch, dass Tabea hinter Cruella steckt. Ich habe ihr Tagebuch. Ich kann beweisen, dass Tabea die Liste mit Verdächtigen, die sie angeblich in Riks Zimmer gefunden hat, selbst geschrieben hat, um von sich abzulenken. Sie ist BabyG. Sie hat diese Fotos von mir gemacht. Über meine Webcam. In dem Screensaver von ihrem Bruder steckt ein Spionageprogramm.«
Laureen schreit entsetzt auf. »Nein! Den haben wir auch! Das wäre ja … eine Katastrophe!«
»In dem Tagebuch steht auch was über Bessy.« Sina hält kurz inne. Soll sie Laureen wirklich darauf ansprechen? Ja. »Sie … Bessy hat Rik damals erzählt, Mias Bruder sei schwul. Das war der Auslöser für alles.«
»Ich weiß.« Plötzlich ist Laureens Stimme leise, fast traurig. »Das war Bessys größter Fehler. Den verzeiht sie sich bis heute nicht. Deswegen ist sie auch so kaltschnäuzig. Früher war sie ganz anders. Viel weicher.« Laureen seufzt. »Sie hätte Tabea damals nicht glauben dürfen.«
»Tabea glauben?«
»Tabea hat ihr das mit Clemens erzählt. Bessy hat erst viel später herausgefunden, dass das alles gelogen war.«
»Versteh ich nicht …« Sina stellt klirrend die Tasse ab, versucht, sich in Erinnerung zu rufen, was sie in Mias Tagebuch gelesen hat. »Warum sollte Tabea ihr so was erzählen? Das macht doch keinen Sinn, wenn sie danach einen Rachefeldzug für ihren Bruder startet.«
»Bessy war damals völlig durch den Wind, weil ihr eigener Bruder sich geoutet hat. Und dann hat Tabea diese Story mit Clemens erfunden. Wir glauben, sie wollte einfach Bessy für sich gewinnen. Wir waren damals noch nicht so eng befreundet. Vielleicht dachte sie, Bessy würde sich dadurch besser fühlen.«
»Und dann ist der Schuss nach hinten losgegangen?«
»Ja«, sagt Laureen. »Weil Bessy ihre Klappe nicht gehalten hat. Tabea hat sie schwören lassen, niemandem was zu sagen. Hätte sie sich daran gehalten, wäre das alles nicht passiert.«
»Warum hat sie es ausgerechnet Rik erzählt?«
»Bessy hat doch gesehen, wie ihr Bruder gelitten hat, weil er die Fassade so lange aufrechterhalten musste. Da dachte sie, Rik könnte als guter Freund mit Clemens reden, ohne dass der von Tabeas Verrat erfährt.«
»Scheiße«, murmelt Sina.
»Ja. Genau. Und seitdem läuft Tabea bei uns mit. Bessy fühlt sich verantwortlich dafür, dass Clemens den Kontakt abgebrochen hat. Als ob er sich von seiner Familie befreien müsste. Tabea war untröstlich. Und Bessy hatte ein schlechtes Gewissen.« Laureen lacht hart und kurz. »Wenn wir damals gewusst hätten …«
»Sie hat uns alle getäuscht. Mich genauso. Aber das ist jetzt vorbei.«
»Ja. Hör mal, jetzt ist es kurz nach elf. Ich hab nur noch eine Doppelstunde Sport. Die schenk ich mir. Kannst du zu mir kommen? Dann können wir uns überlegen, was wir gegen Tabea in der Hand haben und wie wir das verwenden können.«
»Jetzt gleich?« Sinas Müdigkeit ist plötzlich verflogen. »Um eins muss ich Ben abholen.«
»Das schaffst du locker. Mehr als eine Stunde werden wir für ein erstes Brainstorming kaum brauchen. In fünfzehn Minuten bei mir?«
»Ich fahr sofort los.«
»Und, Sina, nimm den Dreiundzwanziger-Bus, damit bist du schneller bei mir als mit dem Rad. Ich bring dich dann zu Bens Schule.«
64
Ja!
Die Anspannung der letzten halben Stunde fällt von mir ab wie ein reifer Apfel vom Baum. Sie ist zu Hause.
Ihr Fahrrad steht in dem schicken Radständer aus Edelstahl, der zu dem Neubau passt, in dem Sina wohnt. Ich stelle meines daneben, verzichte darauf, es abzusperren und unnötig Zeit zu verplempern. Ich muss Sina unbedingt von meiner Version der Geschichte überzeugen. Und das werde ich, denn im Gegensatz zu Laureen und Bessy kann ich beweisen, dass ich nicht Cruella bin.
Ich läute bei Beckhaus und warte. Läute erneut. Noch einmal.
Déjà-vu.
Ob sie wieder Schlaftabletten genommen hat? Sei nicht albern. Das Telefonat mit ihr ist keine Stunde her. Warum sollte sie
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