Sei mein Stern
bitte deinen Koffer mit“, rief er ihr über die Schulter zu.
Mit dem kümmerlichen Rest an Würde, der ihr noch verblieben war, schnappte sie ihren Trolley und schlurfte mit hängendem Kopf hinter den beiden her. Rafael wies auf einen schwarzen Ledersessel, in den sie sich erschöpft fallen ließ. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schenkte er ihr ein Glas Rotwein ein. Widerwillig griff sie danach. Doch dann kam ihr die Erkenntnis, dass die Tage ihres Agentendaseins gezählt waren. Postwendend setzte sie das Glas an die Lippen und nahm gierig ein paar große Schlucke.
Valerie war inzwischen aufs Sofa gerutscht und bedachte sie mit Blicken, die sie auf der Stelle hätten ersticken lassen müssen. In diesem Moment kam Tristan um die Ecke geschossen. Er bremste überstürzt ab, als er sie entdeckte, und kam auf dem glatten Parkettboden schlitternd zum Stillstand. Neugierig musterte er sie mit seinen großen dunklen Augen.
„Tristan, hierher“, rief Valerie augenblicklich.
Jana verzog das Gesicht. Na, herrlich! Vermittelte sie etwa den Eindruck, regelmäßig kleine knuffige Bären um die Ecke zu bringen?
Tristan zögerte einen kurzen Moment, doch dann hopste er auf das Sofa neben Valerie, wo er sich auf den Bauch warf und den Kopf zwischen die Vorderpfoten sinken ließ. Und wie er so dalag, wirkte er wie ein riesengroßes Plüschtier.
„Jana, kann ich deine Tasche und deinen Koffer inspizieren? Ich muss wissen, ob du verwanzt bist“, bekundete Rafael in diesem Moment sein Misstrauen. Und das war eindeutig keine Frage, sondern eine Anordnung.
Sie nickte versonnen. „Ja ja, schon verstanden. Und nicht erschrecken, in meiner Handtasche befindet sich eine Pistole.“
Mit einer flinken Bewegung warf er ihr Gepäck auf den Wohnzimmertisch. Dann fuhrwerkte er ein paar Sekunden lang wortlos darin herum, bevor er in einen der Sessel sank. „Ich habe deine Elektrogeräte vorübergehend außer Gefecht gesetzt, nur sicherheitshalber.“
„Und wenn sie verwanzt ist?“, quiekte Valerie hysterisch und zeigte auf Jana, als handele es sich bei ihr um eine Aussätzige.
„Ist sie nicht. Das habe ich bereits überprüft.“
Jana gaffte ihn verständnislos an. Simon hätte sie es eventuell noch zugetraut, ohne Detektor Wanzen oder Sender aufzustöbern. Aber nun auch noch Rafael? Ein Drehbuchautor?
Doch dieser zerstreute ihre Gedanken auf der Stelle. „So, Jana!“, machte er ihr Feuer unter dem Hintern. „Jetzt bist du dran. Warum hast du Simon verpfiffen, um nun mit ihm die Flucht anzutreten? Klingt ziemlich unglaubwürdig, oder?“
Jana nickte. „Ich weiß. Dabei habe ich doch nur meinen Job gemacht. Die Geheimdienste halten Simon für einen brandgefährlichen Terroristen. Die höchste internationale Sicherheitsstufe wurde ausgerufen“, versuchte sie das Gespräch auf neutralen Boden zu lenken. „Mit seinem Know-how könnte er die Atomraketen der Nuklearmächte aufeinander abfeuern oder einen Super-GAU in einem Kernkraftwerk auslösen. Er wäre imstande, Satelliten außer Gefecht zu setzen, den Funkverkehr und die Ortungssysteme zu stören und die Erde von einer Minute auf die nächste lahmzulegen.“ Die schiere Vorstellung bescherte ihr eine mächtige Gänsehaut. „Versteht ihr nun, warum wir gezwungen waren, umgehend zu reagieren?“
Sie nahm erneut einen großen Schluck Rotwein. „Dass er nur ein harmloser Hacker ist, der sich beinahe zu Tode langweilt, konnte keine Menschenseele ahnen. Fakt ist aber, dass er bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt, denn er hat den Bogen definitiv überspannt.“
Rafael gab einen erstickten Laut von sich, und Jana hatte den Eindruck, dass er bei ihren Worten unter seiner Bräune ein paar Nuancen blasser geworden war. „Das war mir nicht bewusst“, murmelte er ein wenig betreten. Er fuhr sich durch die dunklen Locken, und aus seiner Stimme schlug ihr ein Fünkchen Schuldbewusstsein entgegen. „Aber ich hätte es mir denken können. Spätestens als Simon die Hoteltüren so programmiert hat, dass sie seinen Security-Job erledigen, hätte ich ihn stärker an die Kandare nehmen müssen. Ich kenne meinen Bruder doch, es gibt in der Cyberworld keine Herausforderung, der er aus dem Wege geht. Aber, dass er gleich so über die Stränge schlägt …“
Ein glückseliges Schmunzeln huschte über Janas Gesicht. „Nicht nur in der Cyberworld“, flüsterte sie, in Gedanken bei dem unglaublichen Sex vom Nachmittag. Doch schnell rief sie sich zur Ordnung. „Aber ihr müsst mir
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