Sei mein Stern
bestimmt, und dir alles Gute. Ich bin mir sicher, deine neue Heimat wird dir gefallen. Und gib mir bitte auf Simon Acht. Der Kindskopf verwechselt das Leben nämlich ab und an mit der Virtual Reality seiner Computer. Wenn er das nächste Level nicht erreicht, fängt er einfach noch mal von vorne an. Doch leider hat er noch nicht kapiert, dass man nicht alles mit einem Restart in den Griff bekommen kann.“
Da erwachte der Porsche hinter Jana grollend zum Leben und ließ sie erschrocken aufjaulen. Eilig fuhr sie herum und rutschte hinein. Aufmerksam beäugte sie Rafael, der den hochgezüchteten Sportwagen lässig mit einem Finger steuerte.
„Sie werden sich an unsere Fersen heften“, konstatierte sie, während der Wagen aus der Garage rollte.
„Daher der Porsche“, verkündete Rafael lapidar.
„Vielleicht wäre es besser, wenn ich allein zu Simon fahre. Ich wurde dazu ausgebildet, Verfolger in die Irre zu führen.“
Rafael grinste frech. „Lass das mal meine Sorge sein. Ich hoffe nur, du leidest nicht ebenfalls unter einem empfindlichen Magen. Könnte ein wenig rasant werden.“
Jana verdrehte die Augen. Typisch Mann! Der Kerl lebte wohl in dem irrigen Glauben, nur Männer wären hochgeschwindigkeitstauglich. Von seinem Bruder einmal abgesehen.
„Solange ich die Strafzettel nicht bezahlen muss“, spottete sie und blickte betont gelangweilt aus dem Fenster.
Doch als Rafael den schmucken Sportwagen eine gute Stunde später vor einer abgelegenen Berghütte in den Alpen abstellte, tat Jana jeder Knochen weh. Nicht weil der Sitz unbequem war, sondern weil sie sich in einem Anflug von wilder Panik festgeklammert hatte wie ein verängstigtes Baby. „Oh Fuck!“, fluchte sie zu Rafael gewandt. „Du hättest mir ruhig verraten können, dass du normalerweise die Paris-Dakar gewinnst.“ Mit schlottrigen Knien wankte sie aus dem Wagen.
Teufel aber auch! Noch nie hatte sie jemanden so Auto fahren gesehen. Sie war wahrlich kein Hasenfuß und auch nicht sonderlich gläubig, aber zeitweise hatte sie sich allen Ernstes aufs Beten verlegt. Wie auf Schienen war der Porsche über die kurvigen Alpenstraßen geflogen, hatte den Asphalt geradezu gefressen, wobei es den Eindruck erweckt hatte, dass der heiße Ritt Rafael nur einen Bruchteil seiner Konzentration abverlangte.
Denn zwischendurch hatte er minutenlang am Autoradio herumgefummelt und eine Kinderrassel vom Rücksitz gefischt. Das war dann der Moment gewesen, in dem Jana die Augen geschlossen und sich ihrem Schicksal ergeben hatte. Doch wie durch ein Wunder waren sie unbeschadet angekommen. Die beiden Brüder schienen wirklich mit außergewöhnlichen Gaben gesegnet zu sein.
Da flog die Tür der Berghütte auf und Simon rauschte in einem fast unmenschlichen Tempo heraus. Jana stockte für einen Moment das Herz, bevor es unkontrolliert zu rasen begann.
Als Simons Augen Jana erfassten, blieb er so abrupt stehen, als wäre er gegen eine Wand aus Glas gelaufen. „Jana“, hauchte er kaum wahrnehmbar, während er langsam auf sie zukam.
Einen Schritt von ihr entfernt verharrte er und taxierte sie mit einem Ausdruck der Verwunderung. Seine Blicke hefteten sich auf ihr Gesicht, inspizierten ausführlich ihre Augen, bevor sie zu ihrem Mund absackten. Ein Schatten glitt über seine hübschen Gesichtszüge. Er hob einen Arm und fuhr sanft mit dem Daumen über ihre aufgeplatzte Lippe, was unverzüglich ein Kribbeln in ihrem Körper lostrat. „War ich das?“
„Natürlich nicht! Carsten hat mir aufgelauert, als ich nach Hause kam. Er war fuchsteufelswild. Anscheinend weiß er, dass du in Berlin warst.“
Ein Anflug von Eiseskälte zuckte in Simons sonst so warmherzigen Augen auf. „Er hat dich geschlagen?“
„Nein, gebissen. Aber Schwamm drüber.“
Simons bedepperter Gesichtsausdruck war kurzzeitig zum Niederknien.
„Wie hat er mich gefunden?“
„Angeblich durch einen Taxifahrer.“
„Das ist eine Lüge. Bist du ihm auf den Leim gegangen?“
„Nein, das war aber auch gar nicht nötig. Er hat mir so oder so kein Wort abgekauft.“ Sie blickte ihm tief in die Augen. „Simon, warum hast du dich so sang-und klanglos aus dem Staub gemacht?“
Simon schluckte. Warum er klammheimlich verschwunden war? Die Frau hatte Nerven. Nachdem, was sich in den letzten vierundzwanzig Stunden zugetragen hatte, musste er erst mal wieder zur Besinnung kommen. Janas Verrat hatte ihn tief getroffen, auch wenn er zugegebenermaßen nicht aus allen Wolken gefallen war.
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