Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
dürfen, denn Rücksichtslosigkeit zählt sowohl zu den Pflichten als auch zu den Rechten. Insbesondere von denen wissen die verrohten Blöden vieles, auch wenn sie sonst nicht viel wissen und sich einen Teufel scheren um möglicherweise durch sie verletzte Rechte der anderen.
Kombattanten und Schlachtenbummler aus den verschiedenen Schichten unterscheiden sich zwar im Aussehen, im Auftreten, im Anspruch, im Ambiente. Die einen geben nur aus, was sie haben, weil ihnen anderenfalls der Schuldenberater von RTL in die Tür fällt, die anderen geben an mit dem, was sie besitzen, weil sie aus sich heraus sonst nichts zu sagen haben. Die einen haben durch die von Bankräubern der Oberschicht angestoßene Weltwirtschaftskrise ihren Arbeitsplatz verloren, die anderen die Hälfte ihres Vermögens. Die einen sind noch ärmer dran, die anderen nur ein bisschen weniger reich. Alle aber, sowohl die gemeinten Prolos wie die allgemeinen Protzer, gehören zum selben, nicht nur zum gleichen gemeinen Verein. In dessen Satzung steht eingetragen als Vereinszweck: Geist ist ungeil.
Was in diesem Geiste in trauter Eintracht rülpst, rotzt, rempelt, räsoniert, ist keine randalierende jugendliche Randgruppe, die man womöglich durch gezielte Schläge auf die Hinterköpfe zur Besinnung bringen könnte. Millionen von Vereinsmitgliedern,Alte und Junge, Frauen und Männer, haben sich bereits in die Mitte der Gesellschaft gepöbelt. Kleider machen da längst keine Leute mehr. Ihr Benehmen bestimmt nicht nur ihren eigenen Alltag, was akzeptabel wäre, solange sie unter sich blieben und sich gegenseitig antäten, was immer sie wollen.
Doch man trifft ihre Vertreter flachlanddeckend überall:
Den auf Bahnsteig 7 wartenden Reisenden erster Klasse, in feines Tuch gekleidet, der einem Verkäufer der Obdachlosenzeitung nicht nur keinen »Straßenfeger« abkauft, sondern ihm zusätzlich ungefragt empfiehlt, sich eine anständige Arbeit zu suchen, statt anständig Arbeitende wie ihn zu belästigen, und anschließend laut räsoniert, man werde überall von solchem Pack angebettelt.
Das fettarschige Leggings-Mädchen, grob geschätzte sechzehn Jahre alt, das zunächst die Fahrgäste in der U-Bahn herausfordernd mustert, dann den Kaugummi aus dem Mund nimmt, an eine Haltestange klebt, noch mal kräftig Rotz hochzieht und sich zungenküssend seinem ebenfalls gepiercten Freund widmet.
Die silbern ondulierte Trenchcoat-Dame, der man den Bildung suggerierenden gespreizten kleinen Finger an der im Salon gereichten Teetasse anzusehen glaubt, bis sie diesen Eindruck von Wohlerzogenheit verblassen lässt, sich in der wartenden Schlange von Passagieren nach vorne rempelt und das nächstbeste Taxi besetzt, ohne sich um die Proteste zu kümmern.
Den jugendlichen Mitbürger mit Migrationshintergrund, Oberarme dick wie die Oberschenkel der Prinzessin aus
dem Plattenbau Ost, Cindy aus Marzahn, der im Kino laut mampfend seine Tacos verzehrt, deren Geruch wenigstens den ihm eigenen überdeckt, einmal noch aus der Tiefe seines Seins einen gewaltigen Rülpser holt und, als er merkt, dass er im falschen Film sitzt, weil es einer mit Dialogen ist, »Scheiße, Alter« pöbelnd die Vorführung verlässt.
Auf solche Szenen, beispielhaft für viele selbst erlebte ähnliche Momentaufnahmen, ließe sich alttestamentarisch reagieren, Auge um Auge, Zahn um Zahn, statt sie naserümpfend als nun mal nicht mehr zu verändernde Realität hinzunehmen und sich in die geschützten Refugien und Stadtviertel der bürgerlichen Schicht zurückzuziehen. Es würde doch Spaß machen, Lustgewinn bedeuten, sich entschlossen gegen die Grenzverletzungen zu wehren, nicht etwa mit dem Flammenschwert des selbst ernannten Sittenrichters, wozu sich viele ungebeten eh berufen fühlen, sondern mit einem gemein gespitzten Florett.
Das hieße konkret, den Erstklässler verbal zu provozieren und vor anderen auf die erste Klasse Wartenden zu blamieren, indem man ihm zwei Euro anbietet, weil er sich offensichtlich die Zeitung nicht leisten könne. Das hieße konkret, kurz vor der nächsten Station der Rotztussi in der U-Bahn ihren Kaugummi in die Haare zu schmieren und dann freundlich winkend auszusteigen. Das hieße konkret, die Taxiräuberin per Handy zu fotografieren und zu behaupten, von der Fughafenverwaltung den Auftrag zu haben, eine Fotoausstellung über Verstöße gegen die Transportverordnungen vorzubereiten. Das hieße konkret, dem türkischen Rülpser zu gratulieren, weil er sich soeben als
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