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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Kandidat für die neue Super-RTL-Show Boah.Ey. qualifiziert habe; Bedingung sei jedoch, dass er am nächsten Morgen pünktlich um zehn Uhr im Studio Z in der Kreuzweisestraße 4 aufschlage.
    Alles nur Spiegelfechterei. Aber eine befriedigende Vorstellung von »Was wäre, wenn...«?
    Schon deshalb aber zum Scheitern verurteilt, weil es zu viele Typen der geschilderten Art gibt und niemals alle getroffen werden könnten.Von den geschilderten Prototypen hochzurechnen auf ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung wäre aber dennoch unredlich.
    Der Schein könnte schließlich trügen.
    Er trügt aber immer seltener. Sobald ein bestimmtes Sein das Bewusstsein prägt, hat das anscheinend doch sichtbare Folgen.
    An seinem rüpelhaften Benehmen in der Öffentlichkeit war einst treffsicher das Proletariat erkennbar. So schien es zumindest. Es wurde den Proleten aber gestattet, solange sie unter sich blieben und nicht störten in der bürgerlichen Welt. Sie tummelten sich eh lieber in der ihren. Sie wussten sich nicht besser zu benehmen, sie konnten gar nicht anders sein als so, wie sie waren, denn sie hatten nicht das Privileg einer guten Erziehung und einer umfassenden Bildung genießen dürfen. Sie waren also in solchen Fällen nicht schuldig. Wer von ihnen trotzdem aus eigener Kraft den Aufstieg von unten nach oben schaffte, wurde vom Volk bewundert. In der höheren Spielklasse einmal angelangt, spielten schlechte Manieren keine Rolle mehr.
    Ausgehend von sichtbaren und hörbaren Manieren lässt sich heute nicht mehr sicher sagen, wer wohin gehört. Längst schon sind schlechtes Benehmen, Menschen beleidigender Umgangston und moralfreie Grobschlächtigkeit nicht mehr nur bei Proletariern typische Erkennungsmerkmale. Kante statt Kant bestimmt ebenso das Verhalten einer Oberregierungsrätin aus München, eines Sachbearbeiters aus Göttingen, eines Chefredakteur aus Köln. Ob man Klasse hat, ist unabhängig von der Klasse, in die man geboren
wurde und in der man aufwuchs. Das ist auch gut so – oder wie es im deutschen Sprichwort heißt: Jeder ist seines Glückes Schmied.
    Schön wär’s, schön simpel vereinfachend, ließen sich auch für die Verrohung der Sitten, die befördert worden ist durch die allgemeine Verblödung, die Blödmacher des Fernsehens verantwortlich machen. Geht leider nicht so einfach. Denn die wollen ja im Gegenteil gerade keine klassenlose Gesellschaft, sondern zielen in ihrem Bestreben, Menschen nach ihrer Art glücklich zu schmieden, auf eine ganz bestimmte Klasse, in der banale Wünsche des Alltags direkt ohne irgendeinen geistigen Überbau am Schwanz gepackt werden. Solche Wünsche werden hemmungslos von ihnen erfüllt. Siehe Super Nanny , Raus aus den Schulden , Superstar , Supermodel , Papa gesucht usw.
    Würde es ein quotenmäßig relevantes Potenzial an Pöbel geben, dem Manieren beizubringen sich lohnen könnte, weil sie eine von RTL oder Sat.1 oder ProSieben oder Kabel eins erfüllbare, bisher noch verborgene Sehnsucht haben nach anständigen Umgangsformen oder auch nur weil sie wissen wollen, ob sie Pizzas und Döner mit Messer und Gabel essen und Bier auch aus Gläsern statt aus Dosen trinken können, bei welchen Anlässen sie Krawatte tragen sollen zum Trainingsanzug und wann ein Kerl von Welt der Tussi seines Herzens die Tür nicht ins Kreuz fallen lässt, sondern sie vor ihr öffnet – längst hätten die fest angestellten Blödmacher der Sender ein passendes Format mit zehn, zwölf ausgesuchten Rüpelinnen und Rüpeln gestartet, statt die wie bisher unbearbeitet toben zu lassen im Big-Brother-Container. Titel hätte lauten können »Volle Kante«, gecoacht von Nina Hagen und moderiert von Hans Meiser.
    Von Sendung zu Sendung müsste sich im Sinne eines Spiels herausstellen, welche Fortschritte in Benehmen
und Wortwahl erzielt worden sind, wobei die Juroren – Hera Lind, Jürgen Fliege, Achim Mentzel – unverbesserliche Rüpel nach dem Vorbild anderer Formate regelmäßig beleidigen, ausmustern und zurückschicken dürften in ihre speziellen Seichtgebiete. Die Gewinner werden beim Promi-Dinner auf VOX zu Tisch gebeten, wo sie unter Beweis stellen dürfen, was sie gelernt haben, und wo neben ihnen ebenfalls sattsam Unbekannte vor sich hin mampfen.
    Falls jetzt und hier jemand auf die Idee kommen sollte, diese Idee zu verwirklichen – die Idee ist längst schon geschützt.
    Verwahrlost sind nicht nur die Sitten.Verkommen ist normal menschliches Empfinden, das sich zum Beispiel im

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