Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Jaguar-Fahrer floh, aber er wurde bei seiner Flucht beobachtet, sein Nummernschild notiert. Kurze Zeit später hatte ihn deshalb die Polizei ermittelt und nahm ihn im Haus seiner Mutter fest.
Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte Christian L. mindestens 1,11 Promille Alkohol im Blut. Auch das konnte bewiesen werden. Wie die Beamten nach dem Verhör in einem Protokoll notierten, zeigte er nicht nur keine Reue, sondern verhöhnte sein Opfer. Der sei doch ein fetter Kerl gewesen, der hätte das doch vertragen müssen, von ihm angefahren zu werden, außerdem zahle er stolze 600 Euro Versicherung pro Jahr, dafür dürfe er doch wohl mal einen überfahren. Ärgerlich sei nur, dass bei einem Unfall mit einem Erwachsenen das Auto beschädigt werde. Besser sei es, ein Kind zu überfahren, weil da an seinem Jaguar kaum Schäden blieben. Es spricht für die Moral der Vernehmungsbeamten und ihre gute Ausbildung, dass sie nach diesen Aussagen nicht spontan auf eine Art und Weise geantwortet haben, die selbstverständlich verboten ist, aber seiner Aussage durchaus angemessen gewesen wäre. Ein Richter immerhin, der Herrn L. zu drei Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung,Trunkenheitsfahrt und Unfallflucht verurteilte, rügte das »menschenverachtende Verhalten des Angeklagten«, aber da es keine Paragraphen gibt, die Menschenverachtung unter Strafe stellen, blieb es bei der Rüge.
Rücksichtsloses Verhalten ist alltäglich. Handy-Terroristen laufen frei herum. Sie nerven im Restaurant, sie labern laut
in überfüllten Zügen, sie belästigen ihre Mitmenschen am Strand, in den Bergen, und auch bei Trauerfeiern ertönt die Aufforderung an Carmens Torero, in die Schlacht zu ziehen. Sie sind von einem unstillbaren Mitteilungsbedürfnis befallen, sobald sie die heimische Höhle, ihre Wohnung, verlassen haben.Wer nicht dauernd erreichbar ist, auch wenn ihn niemand erreichen will, ist so gut wie tot.
Aus dieser unüberhörbaren Tatsache ließe sich doch Kapital schlagen. In der Krise liegen auch unerhörte Chancen. Beispielsweise wäre es eine einmalige Gelegenheit für die Deutsche Bahn, erneut das Konzernergebnis zu verbessern und parallel imagefördernde Eigenwerbung zu machen. Dafür müsste sie diesmal weder E-Mails löschen noch Daten vergleichen noch Journalisten ausspähen lassen. Alles wäre ganz legal. Dass eine gute Tat sich sofort niederschlägt in guten Zahlen, ist sonst eher selten. Hier genügt eine einfache Anordnung – E-Mail reicht -, die so wirksam wäre wie die gute Idee, zu einem bestimmten Datum 2008 über Nacht alle deutschen Züge in Nichtraucherzonen umzuwandeln, indem man schlicht das Rauchen in denen untersagte. Punkt.
Und was wäre die simpel gute Idee, auf die nicht mal der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn gekommen war, der eigentlich alles wusste und vor allem immer besser als alle anderen?
Hier die Idee. Kostenlos! Zeitlos! Konkurrenzlos!
Vor wenigen Jahren verkehrte zwischen den Metropolen Hamburg und Köln ein besonderer Zug, der Metropolitan . Dass er für die Fahrt nicht so lange brauchte wie andere Züge auf dieser Strecke, weil er bis auf einen Halt in Essen haltlos durchs Land raste, war nicht das Besondere an ihm. Auch nicht besonders erwähnenswert das an den reservierten Platz gereichte Mahl. Nein, wesentlich war, dass es im Metropolitan Oasen der Ruhe gab, weil in den Silent Cars genannten Waggons keine Handys benutzt werden durften, keine Laptops, keine Musicplayer. Seliges Schnarchen bis zu einer gewissen Dezibelstärke war gestattet.Weil himmlische Ruhe herrschte, weil man verschont blieb von den lauten Laberern aus der Oberschicht und aus Führungsetagen, und nicht etwa, um Zeit zu sparen, wählten viele Mitbürger diesen Zug, in dem die Ruhe erste Bürgerpflicht war. Irgendwann nahm die Bahn diesen Service von den Gleisen und strich ihn aus ihren Plänen. Der Luxus Ruhe lohnte sich angeblich nicht mehr, machte sich nicht bezahlt.
Eine Fehlentscheidung.
Allerdings reparabel.
Denn die Marktlücke namens Ruhe bitte! ist inzwischen größer, als sie es je war, weil die zuginternen Lärmpegel dramatisch gestiegen sind. Man könnte die Lücke füllen mit drei, vier Waggons auf den meistbefahrenen Strecken zwischen Frankfurt und Köln, Frankfurt und Hamburg und vor allem zwischen Hamburg und Berlin, wo sich die meisten Sprachmaschinisten sammeln. Was offenbar daran liegt, dass sich alle für wichtig halten, die unterwegs sind in die Hauptstadt, und dies hörbar für alle auch kundtun
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