Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
rüher war die Zukunft besser. Wer in der damaligen Gegenwart Bücher machte, war kein Buchmacher, wie es sie in der heutigen Zeit gibt, sondern ein Buchverleger. Bevor sie überhaupt ein Buch druckten, lasen solche Buchmacher zunächst einmal selbst alle Manuskripte, die zukünftig im Namen ihres Hauses verlegt werden sollten. Danach warteten sie auf das Urteil der hauseigenen Bücherfreunde. Ob den Lektoren und den Programmleitern die zur Entscheidung vorliegenden Geschichten inhaltlich gefielen, war nicht der entscheidende Aspekt. Vorrangig ging es ihnen um Sprache. Der waren sie schon von Berufs wegen verfallen. Für eigene originäre Sprachschöpfungen reichte es bei den meisten zwar nicht. Umso mehr aber liebten sie alle, die ihr hörig waren wie sie – Dichter und Poeten und Schriftsteller – und dies in ihren Texten spielend unter Beweis stellten.
Persönlicher Geschmack blieb dabei draußen vor der Tür, die rote Linie allerdings, die Sprachzauberer von Sprachklaubern trennte, wurde nicht überschritten. Die Grenzlinie verlief genau da, wo beim Erscheinen eines kurzfristig noch so großen Erfolg versprechenden Romans langfristig der Ruf des Verlags in Gefahr geraten wäre und sein Renommee beschädigt hätte werden können. Fehlentscheidungen waren bei einer solchen intellektuellen Grundhaltung natürlich
nie auszuschließen, aber die gehörten eben selbstverständlich zum verlegerischen Risiko.
Mittelmäßiges oder Mäßiges reichten sie lieber weiter. Auch das ungebildete Volk sollte lesen und etwas zu lesen bekommen. Nicht unbedingt Thomas Mann und Manès Sperber und Virginia Woolf, sondern entsprechend seinem – was gebildete Leser glaubten beurteilen zu können – qua Geburt und Elternhaus und Schulbildung beschränkten Horizont eher Leichtes, Einfaches, Kitschiges. Für gewisse Bücher gab es gewisse Verlage, und für gewisse Verlage kamen diese gewissen Bücher gewiss nie infrage. Um die Bedürfnisse der Unterschicht zu befriedigen, die damals verallgemeinernd nur Proletariat genannt wurde, obwohl ebenso viele Blöde sich in den Salons der Oberschicht tummelten, so wie sich heute ihre nachgeborenen Brüder und Schwestern im Geiste bei den Events der Bussi-Society spreizen, gab es Druckanstalten, die passende Bücher produzierten.
Hedwig Courths-Mahler, Tochter einer Marketenderin und eines Flussschiffers, ohne Schulabschluss aufgewachsen in Weißenfels, wäre andernfalls nie gedruckt worden. Sie schrieb im Laufe ihres Lebens mehr als zweihundert Romane und Novellen. Manchmal veröffentlichte sie drei, vier Bücher in einem Jahr. Alle erfolgreich. Das weibliche Dienstpersonal suchte und fand in denen seinen Alltag wieder und wenigstens bei Courths-Mahler, wenn schon nicht in der Wirklichkeit, die Erfüllung seiner Sehnsüchte.
Einfache Wünsche des hart arbeitenden einfachen Weibervolks einfach geschildert, aber die Geschichten fast immer nach Irrungen und Wirrungen mit dem Sieg einer romantisch verkitschten Liebe endend, waren Bestseller, bevor es Bestsellerlisten gab, beliebte Vorläufer der heutzutage unter dem Sammelbegriff »Moderne Frauenliteratur« gedruckten Bücher. In denen tranken damals die Hauptpersonen
Fassbier und Brause, ebenso wie die, denen ihr Schicksal zu Herzen gehen sollte. Heute trinken Protagonistinnen wie Leserinnen, vereint im gleichen Lebensstil, den sie für stilvoll halten, grünen Tee und Prosecco, verdrängen ihre Beziehungskrisen nicht mehr im stillen Kämmerlein, sondern breiten sie vor ihren Freundinnen und dann in aller Öffentlichkeit aus, suchen unter gewissen anderen Umständen nicht Engelmacherinnen, sondern schlucken rechtzeitig die Pille, weil es ihnen viel zu langweilig wäre, ein Engel zu sein.
Was die literarische Substanz betrifft, hat sich Aussagen von gebildeten Fachfrauen zufolge eigentlich kaum etwas geändert. Es muss nicht mehr nur das Herz schmerzen, es darf detailliert beschrieben auch gern viel tiefer wehtun.
Wer noch kein Sabbergreis ist und als Mann naturgemäß nicht zu dieser Zielgruppe gehört, derartige Werke also nie gelesen hat, kann über Inhalte natürlich kein Urteil abgeben. Dürfte sich allenfalls Gedanken darüber machen, aber mehr nun wirklich nicht, ob es an der Zeit wäre, die Bestsellerlisten, auf denen Bücher solcher Machart gleichwertig neben originärer Literatur rangieren, zu zerschlagen und das Genre anschließend neu zu ordnen. So wie es nicht das Fernsehen gibt, sondern verschiedene Fernsehkanäle für die
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