Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
einsetzende Verdämmerung des Arbeiter- und Bauernparadieses DDR unter der Überschrift »Honi in Bonn« für die Zielgruppe passend so zusammengefasst: »Als die DDR fast schon am Ende war, erlebte Honecker den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn: den Staatsbesuch in der BRD im September 1987. Er fühlte sich nun auf Augenhöhe mit Kanzler Kohl. Im Jahr darauf reiste er auch noch auf Staatsbesuch nach Paris. Und die Bürger der DDR fragten, warum sie nicht auch nach Bonn und Paris fahren durften. Immer mehr drängten auf Ausreise.«
Tja, geht doch.
Einst wussten die vor ihrer schwarzen Remington oder ihrer roten Valentine, für die ein Begriff wie »Kult« zutreffend wäre, sitzenden Schreiber, dass sie noch so viele tolle Sätze in ihre Maschinen hacken könnten, aber all ihre Mühe vergebens sein würde, falls ihr Werk niemand zu drucken bereit war. Sie stritten sich zwar mit ihren Verlegern, doch hüteten sie sich, mit denen zu brechen. Von Zeit zu Zeit
sahen sie die für sie zuständigen Alten sogar gern. Aber die auf der anderen Seite, die im Besitz der Produktionsmittel waren, wussten ebenso gut, dass sie ohne deren Software keine Hardware in ihren Druckereien produzieren können würden und stattdessen gezwungen wären, Nähmaschinen herzustellen oder Regencapes.
Was nicht gar so viel Prestige in ihren Kreisen bedeutet hätte wie Buchverleger zu sein.
Man war aufeinander angewiesen, so oder so. Die einen beäugten misstrauisch die anderen, weil sie vor dem ersten Satz Vorschüsse verlangten, ungern Termine einhielten, bis zum letzten Moment um noch besser passende Wörter rangen und dies auch wortreich schriftlich begründen konnten, falls Mahnungen bei ihnen eintrafen. Früher per Post, was die Möglichkeit erhöhte zu lügen, etwa mit dem Argument, der Brandbrief des Verlags müsse unterwegs verloren gegangen sein. Heute sind Schreiber im Nachteil, weil sie im Zug der Neuzeit ihre Valentine oder Remington entsorgt haben, ihre guten Einfälle dem Computer anvertrauen und selbstverständlich alle bis auf Peter Handke online erreichbar sind.
Buchmacher blickten und blicken auf Buchautoren voller Neid und Eifersucht. Dichter waren von liebestollen Groupies umsorgt, für sie sorgte eine liebevolle Sekretärin.Von leidenschaftlichen Frauen angehimmelte Verleger wie Heinrich Maria Ledig-Rowohlt oder Siegfried Unseld waren die Ausnahmen. Viele heutige Verlagchefs unterscheiden sich rein äußerlich kaum von ihren hauseigenen Buchhaltern und fallen deshalb den Schönen der Buchnächte in Frankfurt oder Leipzig oder Chicago oder London nicht auf.
Dichter dagegen bekamen schon immer und bekommen immer noch, egal, wie hässlich sie auch sein mögen, dank der ihnen innewohnenden Gabe, mit Worten verzaubern zu können, die schöneren Mädchen ab. Die lieben lieber
jene, die ihnen ihr erstes Buch zu widmen versprechen, als jene, die es drucken. Poeten machen sie sprachlos und dadurch wehrlos, weil sie ihnen wortreich eine Welt beschreiben können, in der das Wort Rendite nicht vorkommt, aber verheißungsvoll klingende Wörter wie Wolke, Sonnenuntergang, Mondschein, Meeresstrand, Himmel, Liebe und Sehnsucht.
In ihrer Sehnsucht nach einem vergrabenen Schatz am Ende des Regenbogens sind Dichter unberechenbar. Unberechenbares jedoch ist der Feind von Managern, abschätzig in der schreibenden Zunft auch Korinthenkacker und Erbsenzähler genannt. Diese wiederum drohen, bei nächstbester Gelegenheit, also beim nächsten Buch, die bisher bezahlten Vorschüsse drastisch zu reduzieren und sich zu rächen. So herrschen klare Verhältnisse, denn nichts geht auch in der Welt der Sprache über ein allseits belebendes Feindbild.
Nachdem eigentümliche Verleger nahezu ausgestorben sind, brauchen Schriftstellerinnen und Schriftsteller und ebenso ihre Brüder und Schwestern im Journalismus kühne Kaufleute und begeisterungsfähige Buchhalter, die schwarze Wörter auf weißem Grund schätzen und dennoch darauf achten, dass nicht alles ins Rote abrutscht. Ohne gebildete Kaufleute müssten Autoren ihre Texte in Fußgängerzonen oder Bierzelten vortragen und anschießend beim gemeinen Volk um milde Gaben bitten. Die Alternative, sich einen anständigen Beruf zu suchen, war nie eine so recht prickelnde.
Es ist verlorene Liebesmüh, in den einstigen schönen Zeiten zu schwelgen. Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch, ganz egal, ob es noch eins ist oder eigentlich nie eins wird und nur Gedrucktes zwischen zwei fetten Deckeln
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