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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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viele.
    Wenn bei der Flurbereinigung nur Selbstdarsteller und Gossenjungs auf der Strecke geblieben wären, hätte man sich wenigstens an übler Nachrufrede ergötzen können.Aber seit sich zu viele Manager einbilden, Schriftsteller und Journalist seien Berufe wie der ihre auch, trifft es Männer und Frauen, die für Höheres begabt sind, die ihr Handwerk beherrschen, unbestechlich Haltung zeigen, moralisch handeln oder an das glauben, was sie schreiben.
    Talent und Instinkt und Leidenschaft, die Heiligen Drei Könige der schreibenden Zunft, sind nicht lehrbar. Eine Zielgruppe anzupeilen, ohne ein eigenes Ziel zu haben, endet in Gruppendiskussionen. Zu viele Manager sind überzeugt davon, sie könnten qua Position das, was Könner können – Geschichten aufspüren, Menschen berühren durch Bücher und durch Zeitungen. Noch immer, sagt einer der wenigen gebildeten Stars des Fernsehens, der Journalist Günther Jauch, sind Zeitungen Lebensmittel für wache Bürger.Was die »informationelle Müllhalde Internet« (Jauch) nicht kann, das können Zeitungsmacher – unter der Flut von Meldungen die wesentlichen auswählen und in vertiefenden Artikeln erklären, was sie bedeuten.
    Die wahre Kunst von Autoren besteht darin, aus kleinen
Meldungen große Bücher zu machen. Und aus manchen Träumen wundersame Romane zu weben. Und aus unscheinbaren Klötzen zarte Gedichte zu formen. Dass zu viele Autoren vom Schreiben so viel verstehen wie von der Psyche ihrer Frauen oder ihrer Geliebten, stört sie nicht bei der Eroberung der Seichtgebiete, in denen die Sprache versumpft ist und ihre eigene Sprachlosigkeit deshalb unbemerkt bleibt. Die Krise des Journalismus ist die Krise von Eingebildeten der Medienbranche, doch die werden nie zugeben, dass sie überall besser aufgehoben wären als da, wo sie sind.
    Warum bitte sehr sollte man die Klowitze eines Mario Barth nicht drucken, wenn damit eine Leserschaft erreicht wird, die sonst nichts liest? Warum Gott behüte nicht den geistigen Dünnschiss von Dieter Bohlen so lange zwischen Buchdeckel pressen, bis er nicht mehr stinkt? »Keine Macht den Drögen« war mal selbstverständlicher Konsens, egal, aus welcher Ecke der Wind über die Verlagslandschaft wehte. Heute dünken sich Gnome, die sich in den Radkappen ihrer Dienstwagen spiegeln, als Riesen. Männer mit ihren Eigenschaften wurden einst nur für die Errichtung eines Verlagshauses eingesetzt. Bereits die Ausstattung der Zimmer, in die Kreative einziehen – Exzentriker, Wahnsinnige, Eitle, Sprachzauberer -, ging sie nichts mehr an. Die Dachterrasse stand ihnen offen wie die Kantine, aber zu den fernen Horizonten hin offene Räume, in denen schreibend Ungewöhnliches entstand, in denen die Reisen zum Regenbogen begannen, waren No-go-Areas für sie.
    Wenn aber auf der anderen Seite des Tisches Manager mit Mut sitzen, könnten sie mit Dichtern und Journalisten, unter denen viele verhinderte Dichter sind, zu gemeinsamen Zielen aufbrechen und deren Visionen in Realität umsetzen. Politiker mit Visionen sollten vielleicht wirklich den Rat des
Politikers Helmut Schmidt befolgen und zum Arzt gehen. Im Buchgewerbe ist es anders. Im Gegenteil: Wer da keine Visionen hat, sollte eine Therapie beginnen.
    »Back to the roots« lautet deshalb für die Zukunft die Erfolgsformel des Gewerbes. Die klassische Arbeitsteilung zwischen Koch und Kellner ist zwar für immer Vergangenheit. Blödköpfige werden auf Buchmessen wie Köpfe gefeiert, weil sie prominent sind und ihrer unwesentlichen Biografie ein Ghostwriter Leben eingehaucht hat. Hausverwalter dürfen mitbestimmen über Inhalte, stoßen kaum noch auf Gegenwehr, was allerdings auch daran liegt, dass sich seit jenen Zeiten, in denen alles möglich schien, zu viele Blindgänger Dichter und Publizisten nennen durften, nur weil sie ihren Kopf mit einer Hand abstützen konnten, ohne in Seichtgebiete abzurutschen.
    Wortgewaltige Überzeugungstäter, überzeugt davon, dass Gedrucktes die Welt nicht nur erklärt, sondern im Innersten zusammenhält, gibt es unter denen, deren Vision eine zweistellige Rendite ist, immer seltener.Wer schreibt, der bleibt – und glaubt schon deshalb, alles besser zu wissen, wie auch an diesem Buch erkennbar ist. Manchmal stimmt es sogar. Fragt sich nur, woran man erkennt, dass es mal stimmt.
    Einfache Antwort: Man weiß es nie.
    Begonnen hat es mit den Büchern, bevor es welche gab, mit Wortwanderern, die übers Land zogen und auf den Plätzen atemlos mit offenem Mund

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