Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
verdienen mit ihren Memoiren – bei Helmut Kohl wichtig, weil er nach der Affäre um die schwarzen Kassen der CDU zwar die Namen der Spender nicht verriet, aber seiner Partei 700 000 Mark überwies, als die mit der üblichen Strafe belegt wurde -, ist nicht neu. Konrad Adenauer verfasste seine Erinnerungen oder das, was er erinnert wissen wollte,Willy Brandt schrieb die seinen, Schröder und Fischer ließen sich früh für die ihren feiern, und Helmut Schmidt schreibt eh jedes Jahr ein neues Buch. Sogar die Gedichte des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose – »Charade« – können als die ihm eigene Form, sich an Wesentliches zu erinnern, gelesen und verstanden werden.
Aber wer hat auf ein Buch gewartet von Franz Müntefering (»Macht Politik«), wer auf die Biografie von Klaus Wowereit (»Und das ist auch gut so«), wer auf die Erkenntnisse von Kurt Beck (»Ein Sozialdemokrat«) oder die Einsichten von Jürgen Rüttgers oder Ursula von der Leyen oder Sigmar Gabriel oder Guido Westerwelle und und und. Egon Krenz hat mit seinen Gefängnisnotizen zumindest eine gerade noch lebende Zielgruppe von Ewiggestrigen erreicht, der musste jetzt sein Machwerk veröffentlichen, wann denn sonst?
Aber die anderen?
Haben die nichts Besseres zu tun?
Sollten sie nicht lieber was lesen, statt irgendwas zu schreiben?
Lesen nämlich bildet.
Die hessische Kultusministerin Dorothea Henzler von der FDP, deren Namen man sich nicht unbedingt merken muss – aber das ist wahrscheinlich eine unsachliche Bemerkung -, überschrieb einst eine Broschüre zur Bildungspolitik der Hessen-Liberalen mit der Zeile »Jedem das Seine«. Zwar stammt dieses Zitat – suum cuique – ursprünglich von Cicero. Aber seit die Nazis »Jedem das Seine« als zynischen Gruß für die Todgeweihten über dem Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald anbrachten, das, von der Bevölkerung angeblich unbemerkt, auf einem Hügel über der Goethe-Stadt Weimar lag, ist dieser Satz für immer diskreditiert. In einem anderen Zusammenhang gebraucht deshalb undenkbar. Es gibt viele Bücher, in denen Frau Henzler etwas über die Zeit nachlesen kann, der sie entronnen ist.
Aus denen könnte sie was fürs Leben lernen.
Und für ihre Politik.
KAPITEL VIII
Die Gärtner der Seichtgebiete
D ie Folgen schlechter Ernährung durch TV-Fastfood über mittlerweile mehr als fünfundzwanzig Jahre sind in den Seichtgebieten immer dann zu hören und zu sehen, wenn sich das gemeineVolk trifft auf öffentlichen Plätzen, an FKK-Stränden, in Ess- und Trinkhallen, beim Zelten oder im Stadion. Der wahrlich blöde Spruch für alle Lebenslagen, die man simpel glaubt dadurch erklären zu können, indem man behauptet, dass so was von so was komme – hier stimmt er mal.
So was kommt wohl tatsächlich von so was.
Serviert wurden die fettigen oder süßen, aber alle gleich wirkungsvoll die Hirne verklebenden Gerichte von Blödmachern, die wegen ihrer ständigen Dienst- und Verfügbarkeit als Pilawa, als Kallwass, als Geissen usw. – den unverdienten Ruf erworben haben, prominent zu sein. Das schaffen Kellner in der Wirklichkeit nie. Es sei denn, sie würden, während sie auftischen, was die Küche zu bieten hat, auch noch italienische Opernarien zum Besten geben, die ihre Gäste mitsingen dürfen, beispielsweise den allseits beliebten Chor der in einem Weinkeller Gefangenen.
Wer aber schreibt die Speisekarten? Wer teilt das Personal für seinen Dienst ein? Wer engagiert die Köche? Wer wählt Winzer und Rebsorten aus? Wer lässt für Beilagen und Nachspeisen Gemüsebeete und Obstgärten bepflanzen, bewässern,
bedüngen? Wer kalkuliert Umsatz und Gewinn? Wer lässt die Eier in den Legebatterien einsammeln? Wer schickt Waidmänner auf die Jagd nach Frischfleisch? Wer befiehlt Anglern, auch in trüben Teichen zu fischen?
Wer zum Teufel also gibt den Blöden um Himmels Willen denn letztlich ihr tägliches Futter?
Es sind sowohl die in kommerziellen als auch die in öffentlich-rechtlichen Anstalten fürs Gesamtprogramm Verantwortlichen, es sind die Verleger der wöchentlichen Knallpresse und der täglichen Gassenhauer, es sind die Stationsvorsteher sinnfrei fröhlicher Radiosender mit ihren nervig gute Laune verbreitenden Moderatoren.
Denen ist dieses Kapitel gewidmet. Weil es aber zu viele Gärtner gibt, müssen nur wenige daran glauben. Die stehen deshalb für alle, was ein Oberlehrer pars pro toto nennen würde und der Erstbeste, mit dem es
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