Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
ARD, und setzte sich damit wortreich ab von Konkurrenten und Kritikern.
Er liebte es, dafür gehasst zu werden. Seine scharfzüngigen
Gegenangriffe waren deshalb gefürchtet. Jederzeit wäre er für RTL oder Sat.1 ein idealer Obergärtner gewesen. In den unter privater Aufsicht blühenden Landschaften gab es anders als bei der ARD oder auch beim ZDF keine Gartenordnung per Gesetz, in denen war alles erlaubt. Einer ohne Bedenken wie Struve hätte sich erst recht alles erlauben können. Die kommerziellen Sender werden nicht von manchmal doch recht lästigen Rundfunkräten kontrolliert, sie dürfen ohne Einschränkungen alles anpflanzen – Stinkmorcheln und Löwenzahn und Alpenveilchen und Sumpfdottern -, dürfen Pestizide einsetzen und genmanipuliert aufwachsen lassen, um Neugierige in die eigenen Gärten des Lustigen und der Lüste zu locken. Ihre Züchtungen müssen aber bereits auf den ersten Blick Aufmerksamkeit wecken. Sonst ziehen die Blöden weiter durch die Seichtgebiete und schauen sich in fremden Gärten um.
In ihrem gewöhnungsbedürftigen Jargon – aber was ist schon in ihren Bedürfnisse erfüllenden Anstalten nicht gewöhnungsbedürftig – nennen die Veranstalter diesen Moment der Entscheidung einen Shitpoint . Das bedeutet, bis zu einem bestimmten frühen Zeitpunkt eines Unterhaltungsprogramms muss etwas Entscheidendes geschehen sein, das die Zielgruppe anmacht, weil sie sonst »Scheiße, ist nichts für mich « sagt – oder gar denkt? – und mittels Fernbedienung abtaucht in den nächsten Kanal.
Einfache Gemüter mit dem zu füttern, was in geruchsintensiv gedüngten Beeten gesät und geerntet wurde, ist nötig, um die immensen Betriebskosten der rein kommerziell betriebenen Gewächshäuser zu finanzieren und ihren Besitzern Rendite zu generieren. Die Privatanstalten brauchen möglichst viele möglichst teure Werbespots, denn andere Einnahmen als die aus der Werbung haben sie nicht. Die Agenturen wiederum achten vorrangig auf die zu ihren Produkten
passenden Zielgruppen.Werden die verfehlt, ziehen auch sie weiter in andere Seichtgebiete und folgen den umschaltenden Zuschauern in deren Kanäle. Am liebsten sind ihnen die im Alter zwischen 14 und 49. Je größer die zuschauende Schar unter denen – Warum eigentlich? Sind alle Zuschauer über 49 mittellos? Können die sich das beworbene Produkt nicht mehr leisten? -, desto höher der Preis pro Minute, den sie für deren Aufmerksamkeit zahlen. Auf welche schamlose Art und mit welchen unterirdischen Inhalten die Quoten erreicht werden, ist ihnen egal.
Nicht die Liebe zählt, nur die Masse.
Dass ihnen in aktuellen Krisenzeiten diese Erlöse weggebrochen sind und deshalb zur Freude vieler Zuschauer die als Störung empfundenen Werbepausen ausbleiben, erfreut klammheimlich ARD und ZDF. Plötzlich sitzen sie wieder in der allerersten Reihe, wenn freie Produzenten bei ihnen um Aufträge buhlen. Man nehme aber nicht jedes Möbelstück, ätzte ARD-Programmdirektor Volker Herres, nur weil es die anderen auf der Straße abgestellt haben, und im Übrigen müsse auch die ARD sparen. Das Erste und das Zweite können jedoch mit festen Einnahmen rechnen und gelassen ihre Jahresetats planen. Gebührenzahler heißen Gebührenzahler, weil sie fürs Einschalten der staatlichen Sender Gebühren bezahlen müssen.
Von anderen Gärtnern in anderen TV-Gärten, die nach Gutdünken düngen und umpflanzen, was ihnen nicht gefällt, berichten Drehbuchautoren. Aber nur dann, wenn sie nicht namentlich zitiert werden. Unter vier, sechs, acht Augen klagen sie wortreich über allzu oft erlebte Situationen, in denen fest angestellte Besserwisser sowohl der öffentlich-rechtlichen wie der privaten Sender angewidert ihre Drehbücher abgelehnt haben, und zwar in einer Art und Weise, die beim Pöbel zum normalen Umgangston gehört.
Die meisten schlucken gleichwohl solche Demütigungen, weil sie auch von der Gnade der Entscheidungsträger leben müssen und den nächsten Auftrag nicht gefährden wollen. Besser als gar kein Auftrag ist allemal ein Auftrag, für den sie sich eigentlich erst mal ein Pseudonym ausdenken müssten.
Die gängigsten Beleidigungen der eigentlich Kreativen seien Sätze wie: Einen solchen Haufen Mist habe man überhaupt noch nie auf dem Schreibtisch gehabt, das hätte sogar ihre Putzfrau nicht abzugeben gewagt, man solle doch bitte mal lesen, was die beiden Volontärinnen der Abteilung in ihrer Beurteilung geschrieben hätten. Und vor allem: Hätten sie,
Weitere Kostenlose Bücher