Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
gleich so richtig losgehen wird, selbstverständlich wörtlich übersetzen könnte.
Bühne frei für Günter Struve.
Um Leichtgewichtiges zu verkaufen, war der schwergewichtige ARD-Programmdirektor sechzehn Jahre lang wichtigster Ansprechpartner aller Seichtgewichtigen, die ins Erste drängten. Ihre Ideen für Serien und Showformate durften gern sinnfrei seicht sein. Das waren sie meist auch, und das störte kaum jemanden. Was jedoch so erstaunlich nicht ist. Es liegt nun mal im System. Bei vielen fest angestellten TV-Unterhaltungsverantwortlichen wird aufgrund der eigenen Vorliebe für Eintopf statt für Feinkost und ihrer über Jahre geschulten Abwehrreflexe, etwaige Risiken möglichst zu scheuen wie der Gottseibeiuns das Weihwasser, sinnfrei seicht mit sinnlich leicht verwechselt. Sie haben außerdem verlernt zu staunen und damit ihre wahrscheinlich mal vorhandene Spontanbereitschaft verloren, daran zu glauben, dass im Zweifelsfall viele staunen könnten, falls sie
selbst zu staunen vermögen, weil sie schließlich entgegen ihrer Überzeugung eben doch nicht einzigartig sind.
Auch zur Unterhaltung würde Haltung passen. Wer die hat, fällt grundsätzlich nicht unter ein gewisses Niveau.Wer sie nicht hat, hält alles für unterhaltend, was irgendwie singt und tanzt und schunkelt und zotet – und vor allem: quotet.
Falls solche Menüs der Kundschaft dennoch nicht schmecken, weil es einfach an Würze fehlt, werden sie aufgewärmt in den Suppenküchen von RTL 2, Super RTL, Kabel eins etc. und dort zum Einstandspreis verkauft, um wenigstens die Herstellungskosten reinzuholen, oder aber nach Mitternacht entsorgt nach der Devise, möge es sich versenden. Die seit Jahren in Deutschland erfolgreichen Unterhaltungsformate basieren nicht auf hausgemachten Rezepten, sie wurden zuerst in England, den USA, Kanada, Italien ausprobiert: Superstar. Millionär. Dschungelcamp. Ich bin Kanzler. Unsere Besten.
Zuschauer hierzulande interessiert zu Recht nicht, woher die Zutaten kommen. Solange es ihnen schmeckt, essen sie ihre Teller leer. Falls sie sich für ihre Verhältnisse gut unterhalten und durch das Aufgetischte in ihren Bedürfnissen bedient fühlen, bleiben sie vor dem Fernsehapparat sitzen. Beim Entertainment ist, um das Bonmot eines berühmten pfälzischen Gourmands zu variieren, nur entscheidend, was vorne rauskommt.
Diese notdürftige Begründung war auch für Struve gut genug. Er hat sie in ihrer Bedeutung früher als andere begriffen und entsprechend gehandelt. Sobald ihm der betäubend süße Duft einer sich abzeichnenden Quotenblüte in die Nase stieg, ganz egal, woher der Wind ihm den zutrug, sobald es allzu verlockend nach Erfolg roch, stank ihm nichts mehr. Dann setzte er jedes bis dahin im Ersten als unversendbar geltende Niveau von roten Rosen über vom
Schicksal gebeutelte Almhüttler, Stürme der Liebe bis zu Schunkelfesten der Volksmusik hemmungslos nach unten durch. Der gebildete Bürger Dr. phil. Struve genoss es geradezu, von denen, die gebildet waren wie er, verachtet zu werden.
Denn nicht nur die in Quoten messbaren Erfolge, sondern auch die Kritik an deren Qualität begründeten seinen legendären Ruf als Mister ARD. Selbst auf der Schattenseite seiner Macht konnte er sich noch sonnen. Er war der erste gebührenabhängige TV-Manager, der den im Staatsvertrag festgelegten hehren Bildungsauftrag des Fernsehens nicht ernst nahm, sondern sich vielmehr im Gegenteil darauf konzentrierte, die Privatsender auf ihren ureigenen Spielfeldern anzugreifen. Indem er ihr erfolgreich versendetes Angebot von Unterhaltung und Serien sendend adaptierte, statt mit intelligent gemachtem Leichten ein eigenes Profil fürs Erste zu entwickeln, bot er ihnen die Stirn.
Stirn ist hier zwar nur symbolisch gemeint.
Doch Struve ist nicht so blöde wie andere Blödmacher. Er weiß, dass private und öffentlich-rechtliche Sender zwar zu einer Welt gehören, aber in unterschiedlichen Landschaften verwurzelt sind und so wenig wie Regenwälder und Wüsten miteinander verglichen werden können. Sobald er als Seichtgärtner bezeichnet wurde, als Totengräber der ARD, diffamiert als Mitverursacher anwachsender Verblödung, verwies er auf die tägliche Grundversorgung der Bürger mit Wesentlichem, ganz so, wie es das Gesetz vorschrieb, auf den beachtlichen und beachtenswerten Anteil von Information und Aufklärung, von Kultur und Wirtschaft und Politik, also auf die sichtbare Relevanz in allen, auch den dritten Programmen der
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