Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse
kaum Schlaf in dieser Nacht. Zu viel ging ihr durch den Kopf, zu stark spürte sie das magische Gefühl, das auf Tara vorherrschte. Ein Palastwächter hatte schon bald nach ihrer Ankunft siegessicher damit geprahlt, wo es herkam. Und dabei gleich eine weitere Information preisgegeben: Der Getreue, der seit Island als verschollen, wenn nicht tot galt, war tatsächlich noch am Leben und zurück, offenbar mächtiger denn je. Denn er hatte vor Kurzem einen weiteren Ley-Knoten besetzt, Benghazi in Libyen. Mit dieser Meldung war er nach Tara gekommen, inzwischen aber wieder abgereist.
Durch hartnäckige Fragen hatte Nadja von dem Palastwächter erfahren, was mit den besetzten Knoten geschah. Seine Ströme wurden in einem besonderen Raum der Burg gebündelt und von Bandorchu angezapft! Das war der Grund, weshalb sich Tara nach heiler Vergangenheit anfühlte und die Sehnsüchtigen gleich scharenweise anlockte. Auch David hatte die düstere Burg in ihren Bann geschlagen – warum sonst hätte er alle Vernunft fahren lassen und ein Duell fordern sollen? Nadja hörte ihn flüstern. Blinzelnd öffnete sie die Augen.
Der Elf saß an einem Tisch unter dem Fenster ihres Schlafgemaches. Er hatte die Vorhänge aufgezogen, seinen Karton vor sich hingestellt und unterhielt sich gedämpft mit dem Inhalt: zwölf Kellerwichteln. Grauen Schmuddelgestalten, die, wie Nadja inzwischen wusste, zur elfischen Abfallverwertungsgesellschaft gehörten, also in etwa vergleichbar waren mit Kakerlaken. Sie hausten in Dreck und Dunkelheit, stöberten nach allem, was noch irgendwie brauchbar war, und handelten damit. Untereinander zumeist, denn niemand sonst wollte das alte Gerümpel haben. Mit der Aussicht auf ein Stückchen Brot konnte man sie kurzfristig für eine Tätigkeit gewinnen.
Etwa zu einem Eichen-Duell.
Nadja krampfte sich der Magen zusammen. Draußen vor dem Fenster dämmerte es bereits; sobald es hell genug war, sollte das Duell stattfinden. Sie hatte alles versucht, um David von diesem gefährlichen Irrsinn abzubringen, aber er wollte nicht hören.
Ich mache das für Talamh und dich!
, hatte er gesagt, und dabei war er geblieben.
Wenigstens gab er sich nicht der Illusion hin, Bandorchu ließe ihn tatsächlich gehen, wenn er gewann. In der Nacht, unter der Decke, hatte er Nadja zugeraunt, wie sie aus Tara entkommen konnte, falls ihm etwas zustieß. Als ob sie das wollte! Nicht ohne ihn!
Es war ein kalter Wintermorgen. Nebelschleier schwebten über den Wiesen von Tara, mancherorts lag ein wenig Schnee. Er schimmerte durch die Dämmerung. Auf halber Höhe des Hügels, im Schatten der mächtigen Burg, stand eine Eiche. Schön gewachsen, sehr gleichmäßig und mit starken, knorrigen Ästen. Auf dem Boden unter ihrer Krone glühte ein magischer Kreis, um den sich Schaulustige drängten.
Auch Bandorchu hatte sich eingefunden. Sie saß auf einem königlichen Sessel am Rand von Davids Kreishälfte, lächelte kühl und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Nadja stand ihr gegenüber. Trotz der Kälte hatte sie ihren Mantel nicht angezogen, trug ihn längs gefaltet über dem Arm. Bleich und angespannt hörte sie dem Unparteiischen zu, einem Wolfstroll.
»Jeder Springer bringt ein Stück des Vogels zur Krone hinauf. In der richtigen Reihenfolge, sonst haftet es nicht. Je mehr Teile von demselben Gegner eingefügt werden, desto größer ist die Ehre. Der Sieg aber geht an den, der den Kopf hinaufbringt. Das kann erst geschehen, wenn der Vogel ansonsten komplett ist. Mit den Schützen können die gegnerischen Springer aus dem Baum entfernt werden. Jeder hat nur einen Schuss. Keiner sollte tödlich sein, denn die Pfeile sind stumpf und die Vogelteile dürfen als Schild benutzt werden. Möge der Sieg an den Richtigen gehen!«
Nach diesem gleichgültig heruntergespulten Vortrag trat der Unparteiische aus dem Kreis. Bandorchu warf mit scheinbar leerer Hand etwas hinein, das glühende Rund flammte auf, und ein magisches Feuer wuchs über die Grasspitzen. Es hielt die Duellanten an ihrem Platz; sie konnten den Kreis nicht verlassen. Das hatte man so eingeführt, damit der Verlierer auch ganz gewiss seinen Preis zahlte und keinen buchstäblichen Rückzieher machte.
Nadjas besorgter Blick hing an David. Sie beobachtete, wie der Elf seinen Karton auf den Boden stellte, und ihr Gesicht verzog sich schmerzlich, als der Inhalt herausspazierte. Bei Licht betrachtet sahen die Kellerkobolde noch schäbiger aus als in den Gewölben der Burg. Einer trug
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