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Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

Titel: Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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Geruch von schwarzer Erde und Verfall.
    An den Häusern von Whispering Willows waren die Fensterläden zugeklappt – grün gestrichene, alte Holzdinger mit Lamellen, die genug Licht nach außen dringen ließen, dass man sehen konnte, wo noch jemand wach war. Soeben begann hinter einem der Läden ein Uhrwerk zu schlagen. Elfmal. Als das Läuten verhallte, ging die Haustür auf, und zwei Männer traten ins Freie. Sie hatten Regenschirme dabei, die sie öffneten, ehe sie loswanderten – über den Dorfplatz, zielgerichtet auf das einzige Haus zu, dessen Fenster hell erleuchtet waren. Wie glühende Augen blickten sie hinaus in die Dunkelheit, mit ihrer Stille und ihren Geheimnissen.
    Die beiden Männer waren auf dem Weg zum
Grumpy Hog
. Sie unterhielten sich angeregt, als sie in den Lichtkegel traten, der auf den Boden vor Mistress Braxtons Haus fiel. Ihre Schatten tanzten munter über die Pfützen, wurden beim Näherkommen lang und länger. Sie zogen sich fast bis zur Dorfgrenze hin, dem toten Bacharm mit seiner steinernen Brücke. Deren jenseitiges Ende lag verborgen in der Nacht, und dort, auf dem Gras hinter der Grenze, stand jemand.
    Es war eine Frau, ganz in Schwarz gekleidet. Sie stand nur da – reglos, hoch aufgerichtet – und starrte aus brennenden Augen auf das Dorf. Nachtwind umspielte ihren hageren Körper. Als die beiden Männer das Gasthaus erreichten, öffnete sie den Mund zu einem lautlosen Fauchen, trat einen Schritt zurück … und verschwand im dunklen Moor.
    Das
Grumpy Hog
war wie immer gut besucht. Bis die beiden Männer eintraten, gab es schon keinen freien Platz mehr an den schlichten Holztischen. Jasper Foggerty und Nathan Pine – so hießen die Männer – steckten ihre regennassen Schirme in einen Eimer neben der Tür, bevor sie die Mäntel auszogen und an die Garderobe hängten. Dann machten sie sich auf den Weg zur Theke.
    Es war ein langer Weg, denn wo immer sich die beiden zwischen den Stühlen hindurchzwängten, wurden sie angesprochen. »Hallo, Jasper!«, »’n Abend, Nathan!« und »Du, ich komm morgen mal vorbei! Ich brauch ’nen neuen Riegel für meine Stalltür!«, scholl es ihnen entgegen. Hände griffen nach ihnen und zogen sie zu dem jeweiligen Sprecher herunter, der zwar seine Nachricht loswerden wollte, aber keine Lust hatte zu brüllen – was nötig gewesen wäre, um das Stimmengewirr zu übertönen.
    Jasper und Nathan ließen sich Zeit, auch wenn die Theke ihr erklärtes Ziel war, saß doch der Neue dort. Die überwiegende Mehrheit der Dorfbewohner war dunkelhaarig, da stach der Rotschopf heraus wie ein Sittich unter Spatzen. Er hatte sich auf einem hochbeinigen Hocker am Ende der Theke niedergelassen, mit dem Rücken zur Wand. Hinter dem Schanktisch war Mistress Braxton eifrig dabei, ihre Kundschaft mit Getränken zu versorgen; zwischen Zapfen und Einschenken winkte sie den beiden Männern zu.
    Das
Grumpy Hog
.
    Die alte Taverne hätte so, wie sie war, in ein Museum überführt werden können – ohne ihre Gäste, versteht sich. In den schweren Eichenbalken draußen über der Eingangstür war die Jahreszahl 1865 geschnitzt, und genauso lange hatten die Wände Zeit gehabt, den Rauch unzähliger Pfeifen, Zigarren und Zigaretten aufzufangen. Dunkelgelb präsentierte sich der Rauputz, wo immer er hinter all den Kuriositäten zum Vorschein kam, mit denen man ihn bestückt hatte: ein hölzerner Bierfassdeckel, eine Gasmaske aus dem Krieg, Pferdegeschirr, ein ausgestopfter Schweinskopf, braune Knochen hinter Glas …
    Dazwischen hingen teils uralte Fotos. Die meisten zeigten Paare in der typischen Pose von anno dazumal: die Dame auf einem Stuhl sitzend, betont gerade und die Hände über dem Schoß gefaltet; der Herr seitlich versetzt hinter ihr stehend, mit Hut und extrem breitem Schnauzbart, eine Hand auf ihrer Schulter.
Alles meins!
, sagte diese Hand, das wehte dem Betrachter noch immer deutlich entgegen. Es gab auch eine vergilbte Fotografie von Whispering Willows, in Sepiabraun mit Zackenrand. Da waren die Bäume noch klein und der tote Bacharm ein munteres Gewässer. Schafe standen an seinem Ufer und stillten ihren Durst.
    Besonders groß war der Schankraum nicht, dafür aber gemütlich mit seinen schwarzbraunen Decken- und Stützbalken und dem vernarbten Holzboden. Es gab kein elektrisches Licht. Auf den Tischen standen weiße Kerzen; keine zierlichen, schlanken Dinger, sondern klobiges Gebrauchsgut.
    Beeindruckend war auch der Kronleuchter, ein mächtiges Gebilde aus

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