Seidel, S: Elfenzeit 16: Bestie von Lyonesse

sogar einen zerlumpten Verband am Bein.
    »Die Katze«, sagte der Kobold und quiekte bedauernd, noch ehe Bandorchu fragen konnte.
    Ihre Brauen wanderten in die Höhe, ungläubig starrte sie auf das graue Gewusel hinab. »Vielleicht solltest du kapitulieren, Prinz«, sagte sie trocken. »Dann könnten alle wieder hineingehen und sich aufwärmen. Na ja – fast alle.«
    Nadja ballte die Hände unter ihrem Mantel. Bandorchu hatte sich viel Mühe gegeben, Davids Mut zu brechen. Zufällig war in der Nacht, bevor er seine Suche nach den Kobolden beginnen durfte, eine Horde Katzen in den Burgkeller eingedrungen und hatte die meisten – vor allem die besten und schnellsten – in die Flucht geschlagen. Für Davids Gegner war das kein Problem: Urgyull, Bandorchus Heerführer, hatte zufällig seine eigenen Kobolde mitgebracht. Sie waren ein ganz anderes Kaliber als Davids Schmuddelgestalten. Ordentlich aufgereiht standen sie im gegnerischen Halbkreis. Zackig irgendwie und mit Kampflust in den Knopfaugen.
    Auch die Schaulustigen waren zufällig so verteilt, dass Urgyull in lauter freundliche Gesichter blickte, David hingegen auf Gefängniswärter mit klirrenden Ketten und einen Mann, der eine schwarze Ledermaske trug und sich auf ein riesiges Schwert stützte.
    Selbst der Vogel aus Rindenstücken hatte Symbolcharakter. Urgyull bekam ein leuchtend blau gefärbtes, mit Flimmergold bestreutes Holz, David ein fahlgelbes. Alles, aber auch wirklich alles um den Prinzen herum trug die Aufschrift
Verlierer!
    Es zeigte Wirkung.
    David schien verzagt, als er Nadja einen schnellen Blick zuwarf. Sie nickte ihm aufmunternd zu, über den magischen Kreis hinweg.
Ich bin bei dir!
, stand in ihren Augen.
    Dann bückte sich der Elf nach seinem ersten Kobold und gab damit ungewollt die Sicht frei auf Bandorchu. Nadja gefror beinahe das Blut, als sie das böse Lächeln der Königin sah … und ihren Blick. Er war auf sie gerichtet, nicht auf David.
    Sie versucht herauszufinden, ob er etwas plant!
, schoss es Nadja durch den Kopf.
Wie grausam kann diese Frau sein? Benutzt ausgerechnet mich, um ihn zu Fall zu bringen!
Sie biss die Zähne zusammen.
Warte nur, dir werde ich’s zeigen! Mit mir spielst du deine Spielchen nicht, Bandorchu!
    Nadjas Gesicht verlor jeden Ausdruck. Ernst, aber ohne erkennbare Gefühlsregung sah sie zu, wie David den Kobold ins Geäst setzte und zurücktrat.
    »Springer auf A2!«, befahl er.
    Das graue Männchen hopste auf die angegebene Position. Dort musste es bleiben, bis der gegnerische Schütze seinen Pfeil verschossen hatte. Es durfte hin und her flitzen, den Ast aber nicht verlassen. Verfehlte der Schütze sein Ziel, konnte es ungehindert bis zur Baumspitze klettern und sein Vogelteil dort anbringen.
    »Schütze auf A1!«, sagte Urgyull. »Feuer!«
    Nadja presste unwillkürlich die Lippen zusammen, als der Kobold getroffen aus dem Baum flog. Bandorchu lächelte ihr zu.
    »Springer auf A3!« Urgyulls Kobold huschte ohne Hilfe in Stellung.
    »Schütze auf A4!« David nickte seinem zotteligen Adjutanten zu. »Feuer!«
    Der Pfeil traf ein Blatt – immerhin! –, und Urgyulls Springer flitzte den Stamm hinauf. Ganz oben, wegen der vielen Äste und Zweige vom Boden des magischen Kreises aus schwer zu sehen, war ein Haltebann gesprochen. Der Springer drückte den blauen Vogelfuß darauf und quiekte eine Erfolgsmeldung. »Mission ausgeführt!«
    Nach der untersten Astreihe kam die zweite.
    »Springer auf B2!«, befahl David.
    Als der Kobold in Stellung war und getroffen wurde, rief er: »Uiiiiii!« und flog davon.
    Und so ging es weiter. Nadjas Herz sank und sank, während ein gelbes Rindenteil nach dem anderen zu Boden fiel und oben an der Baumspitze ein blauer Vogel erwuchs. Urgyull hatte seinen Spaß an dem ungleichen Kampf, das merkte man ihm an. Er schickte seine Springer auf Äste, die gefährlich nahe an Davids Baumhälfte wuchsen, und er ließ seine Schützen aus Positionen feuern, die nicht weiter entfernt sein konnten. Sie trafen trotzdem, zuverlässig und punktgenau.
    Vier von Davids Springern waren bereits auf dem Heimweg in den Burgkeller. Der fünfte schaffte es zum Erstaunen aller Zuschauer, dem Pfeil von Urgyulls Schützen zu entgehen. Mit triumphierendem Gequieke flitzte der Kellerwichtel den Stamm hoch, erreichte die Spitze, wollte den Vogelkörper anbringen … und ließ ihn fallen. David raufte sich die Haare. Nadja zitterte, so schwer fiel es ihr, keine Miene zu verziehen. Und Bandorchu lächelte.
    Nun